Berlin/Kiel. Der 48-Jährige wird dafür sein Amt in Schleswig-Holstein niederlegen. Ministerpräsident Günther (CDU) bedauert die Entscheidung

Er hat lange mit sich gerungen. Leute, die Robert Habeck nahestehen, spürten, wie ihm die Sache an die Nieren ging. Soll er den Vorsitz der Grünen anstreben und dafür den Ministerposten in Schleswig-Holstein opfern? Nun hat er sich entschieden. „Ich möchte gerne Bundesvorsitzender meiner Partei werden“, sagte der 48-Jährige der Berliner Tageszeitung „taz“. Und er will, falls er gewählt wird, sein Ministeramt aufgeben – nach einer Übergangszeit von rund einem Jahr. Bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im Januar will er als Vorsitzender kandidieren. Der Schritt war von vielen seit längerem erwartet worden, von nicht wenigen erhofft. Ein Stück weit überraschend kam die Nachricht am Sonntagnachmittag dann aber doch.

„Die Entscheidung ist mir extrem schwer gefallen, weil ich viele Dinge gegeneinander abwägen musste“, sagte Habeck der Zeitung. Und: „Ich sehe die große Chance, dass die Grünen eine bindende Kraft in der linken Mitte entfalten können.“ Habeck sieht sich selbst als Visionär und Pragmatiker. Seit 2012 hat er als Umwelt-, Landwirtschafts- und Energieminister in Schleswig-Holstein mit schwierigen, meist konservativen Interessengruppen zahllose Konflikte ausgetragen – mit Bauern, Fischern, Jägern, Naturschützern. Der Mann, der auch Philosophie studierte und als Schriftsteller Bücher schrieb, hat sich dabei Respekt erworben und selbst viel vom Leben gelernt.

Seine politische Philosophie hat Habeck stark herausgestellt, als er im Rennen um die Spitzenkandidatur der Grünen zur Bundestagswahl stand. Die Grünen müssten breite Mehrheiten ansprechen. Sie sollten „Gesellschaftspartei“ werden. Mit diesem Kurs war der in der Partei noch weithin unbekannte Außenseiter überraschend erfolgreich: Viel hätte nicht gefehlt, dann wäre er Spitzenkandidat geworden und nicht der jetzt scheidende Parteichef Cem Özdemir – nicht einmal 100 Stimmen trennten die beiden voneinander. Habeck haderte mit dem Ergebnis. So knapp gescheitert! In diesen Tagen muss der Wunsch gewachsen sein, einen zweiten Weg zu finden, der nach Berlin führt.

Gesagt hat er das nicht. „Ich bin nicht auf Jobsuche“, hat er allen geantwortet, die nach seiner Rolle in einer „Jamaika“-Regierung in Berlin fragten. Doch mit dem Scheitern von „Jamaika“ im Bund hat sich die Lage wieder verändert. Wie können sich die Grünen in Berlin behaupten – als kleinste Fraktion im Bundestag? Brauchen sie nicht doch den frischen Wind aus dem Norden, den sich viele von Habeck versprechen?

Als „frisches Gesicht“ mit neuen Ideen ist er in Berlin schon lange ein Thema und hat viele Fans, auch über die Grenzen der Parteiflügel hinweg. Als klar war, dass Özdemir nicht mehr für den Parteivorsitz antreten wollte, schauten die Bundesgrünen sofort nach Kiel. Als aber die Zeichen auf „Jamaika“ standen, schien es, als bleibe Habeck in Schleswig-Holstein. Parteichef ohne Bundestagsmandat ist schon mühsam genug, warum sich das auch noch antun – mit den zwei Bundesministern Özdemir und Katrin Göring-Eckardt vor der Nase? Doch seit dem Aus für die Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP wird der Ruf nach personeller Erneuerung wieder lauter bei den Grünen.

Die Kandidatur von Habeck und der Brandenburger Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock, die ihre Kandidatur am Sonnabend bekanntgegeben hatte, könnte aber Ärger vor allem beim linken Parteiflügel auslösen. Den Grünen-Vorsitz teilen sich üblicherweise ein Mann und eine Frau, die beide Parteiflügel vertreten - den realpolitischen und den linken. Habeck und Baerbock werden beide zu den Realos gezählt.

In Schleswig-Holstein wurde die Nachricht von Habecks Kandidatur mit Bedauern aufgenommen. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wünschte seinem Stellvertreter Erfolg. „Er hat diesen Schritt vertrauensvoll mit mir besprochen“, sagte er. Habeck wisse, dass er dies auch mit einem weinenden Auge sehe. „Wenn seine Kandidatur von Erfolg gekrönt ist – und daran habe ich keinen Zweifel –, freue ich mich über die lange Übergangszeit.“ Habeck will in dieser Zeit seine Nachfolge „verantwortungsbewusst“ regeln.