Berlin.

Bevor sich die Spitzen von Union und SPD am Mittwoch erstmals treffen, um über eine mögliche große Koalition zu sprechen, ist die Stimmung aufgeheizt. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn brachte eine Minderheitsregierung ins Spiel, wenn die SPD nicht bereit sei, sich zu bewegen: „Wenn es mit der SPD nicht geht,
machen wir es eben alleine“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Deren Generalsekretär Lars Klingbeil forderte Reformen bei Gesundheit und Pflege und Milliardeninvestitionen in die Bildung. Ein Überblick über Streitthemen einer Groko.


Arbeitsmarkt

Die SPD-Forderung nach einem faktischen Ende von befristeten Jobs ist ein rotes Tuch für die Union. Heftige Konflikte sind hier programmiert, ein Kompromiss unvorstellbar. Alle anderen Themen um Hartz IV, Qualifizierung und Digitalisierung am Arbeitsplatz sind aber zu bewältigen.


Gesundheit/Pflege

Die SPD hat die Bürgerversicherung wiederentdeckt. Die Debatte darum stammt aus einer Zeit, als gesetzliche Krankenkassen dringend Geld brauchten und Leistungen kürzen mussten. Das ist derzeit nicht der Fall. Die SPD hat auch kein fertiges Konzept in der Tasche. CDU und CSU haben schon klargemacht, dass sie die private Krankenversicherung nicht abschaffen. Sie wissen aber, dass hohe Beiträge vielen Privatversicherten im Alter das Leben schwer machen. Der Streit wird also heftig werden, aber ein Kompromiss ist denkbar. Zusätzlich will die SPD die Zusatzbeiträge abschaffen und die Arbeitgeber mehr an den Kosten beteiligen. Die Union lehnt das ab, ist da aber nicht geschlossen. In der Pflege könnten sich beide Seiten auf mehr Geld für Pflegekräfte einigen. Das Thema ist populär und die Bereitschaft der Bürger, dafür zu zahlen, groß.


Rente

Obwohl viele Menschen lange eingezahlt haben, reicht die Rente später oft nicht zum Leben. Die SPD will mit einer Solidarrente gegensteuern, bei der CDU hieß das Konzept früher Lebensleistungsrente. Beides ist rechtlich schwierig umzusetzen und sehr teuer. Das gilt auch für alle anderen Rentenpläne, egal ob das Rentenniveau stabilisiert (SPD) oder noch mehr Erziehungszeiten (CSU) anerkannt werden sollen. Die SPD hat ein Rentenkonzept vorgelegt, das die Union aber ablehnt. Eigene Vorschläge hat sie nicht, das macht eine Einigung schwierig. Es drohen lange Diskussionen und neue Kommissionen. Wenn ein Kompromiss möglich ist, wird er wieder sehr teuer.


Finanzen und Steuern

Union und SPD haben beide gemeinsam 2009 die Schuldenbremse beschlossen, die schwarze Null bleibt also das Ziel. Beide wollen auch den Solidaritätszuschlag abschaffen und zwar in vielen kleinen Schritten, das dürfte kein Problem werden. Schwieriger wird eine Steuerreform: Teile der Union wollen auch Gutverdiener entlasten, die SPD will den Spitzensteuersatz erhöhen. Das sieht nach heftigem Streit aus.


Bildung

Kostenlose Kindertagesstätten und einen Rechtsanspruch auf Plätze in Ganztagsschulen haben SPD und Union beide versprochen. Ob die Union so weit mitgeht, jede Form der Ausbildung kostenfrei zu stellen, ist offen. Ein Konflikt wird sich daran nicht entzünden. Strittig ist, wie stark der Bund die Länder und die Gemeinden bei der Bildung unterstützen darf. Dieses „Kooperationsverbot“ ist Unions-Ministerpräsidenten heilig.
Innere Sicherheit

Hier will die Union den Schwerpunkt setzen. Die SPD fordert bisher nur „mehr Polizei und eine leistungsfähige Justiz“. Das wollen CDU und CSU auch. Großkonflikte wie der um die Vorratsdatenspeicherung sind in den vergangenen vier Jahren zwischen beiden Partnern ausgetragen worden.


Europa

SPD-Chef Martin Schulz hat das Thema (wieder-)entdeckt und will bis 2025 die Vereinigten Staaten von Europa gründen. In der Union hält man das für weltfremd. Tatsächlich wollen die Bürger in den meisten EU-Staaten nicht noch mehr Macht an Brüssel abgeben – auch die Deutschen nicht, das zeigen Umfragen. Die SPD unterstützt die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für eine Reform der Eurozone, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich bislang vorsichtig geäußert. Ein Parlament und ein extra Budget für die Eurozone dürften mit der Union nicht zu machen sein. Auch jede Form von zusätzlichen Finanztransfers an andere Staaten lehnen CDU und CSU ab. Eine Einigung ist aber möglich.


Migration

Die SPD hat ein Einwanderungsgesetz vorgelegt, mit dem qualifizierte Arbeitskräfte ins Land kommen können und das Regeln für legale Zuwanderung aufstellt. Die Union tut sich schwer damit. In ihrem Kompromiss nach der Wahl und vor Beginn der Jamaika-Verhandlungen hatten sich CDU und CSU nur auf ein „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“ verständigt – und darauf, dass pro Jahr nicht mehr als 200.000 Flüchtlinge kommen sollen. Eine solche „Obergrenze“ lehnen die Sozialdemokraten ab, zumindest in Reinform. Die Diskussion darüber dürfte aber weniger hitzig werden als mit den Grünen. Unbegrenzte Einwanderung will auch die SPD nicht. Die Frage, ob der Familiennachzug von Flüchtlingen ausgesetzt bleibt, dürfte lösbar sein. Die aktuelle Regelung hat die SPD in der amtierenden Bundesregierung noch selbst mitgetragen.