Berlin .

Die Sonne scheint nicht mehr auf die Liberalen. „Hagelschauer“, nennt Christian Lindner das politische Wetter nach dem Jamaika-Aus. Die Beliebtheitswerte des FDP-Chefs sind in den Keller gestürzt, es gibt Dresche von allen Seiten: Nicht nur in der deutschen Wirtschaft finden es viele falsch, dass eine demokratische Partei nicht regieren will, wenn sie regieren könnte. Nicht wenige prophezeien der FDP: Um in der Opposition sichtbar zu sein, wird Lindner sich als Jäger der Etablierten versuchen. Und damit leicht ins Fahrwasser seiner rechten Sitznachbarn im Bundestag geraten. Kommt es zu einer großen Koalition, wird die AfD Oppositionsführer. Und die FDP? Sie hat ihre Rolle noch nicht gefunden.

Drei Wochen ist es her, dass Lindner kurz vor Mitternacht die Jamaika-Sondierungen platzen ließ. Kein Tag vergeht seit dem, an dem nicht ein Spitzen-Liberaler erklärt, dass diese Entscheidung alternativlos war. Und dass sie einstimmig fiel. Doch zur Wahrheit gehört auch: Schon am Morgen nach dem abrupten Ausstieg der FDP hatten die ersten Zweifel, ob die Entscheidung der Partei guttun werde. Mit Blick auf die Wähler, aber auch mit Blick auf die künftige Rolle der FDP im Bund. Ein Liberaler, der bis zum Schluss dabei war, bringt es auf den Punkt: Er habe große Sorgen, dass seine Partei nun in Richtung Populismus, in Richtung Anti-Establishment schwenke.

Es wäre nicht das erste Mal. Mit Schaudern denkt mancher an Jürgen Möllemanns antisemitische Kehrtwende, oder auch an Guido Westerwelles übersteuertes „Projekt 18“. Beides waren Phasen, in denen liberale Spitzenleute auf Sichtbarkeit um jeden Preis setzten. Und da viele Beobachter Lindners Ego trotz des anschwellenden Kritikgewitters für groß genug halten, macht bald ein alarmierender Vergleich die Runde: Der junge Parteichef, so unken die ersten, wolle es machen wie Sebastian Kurz, der Wahlsieger und künftige Kanzler von Österreich. Lindner, so geht die Hypothese, werde aus der FDP eine bürgerliche Protestbewegung machen und Kurs aufs Kanzleramt nehmen. Der „Spiegel“ hebt den 38-Jährigen schon mal als dämonischen Schattenmann hinter Angela Merkel auf den Titel. Aus dem smarten FDP-Retter ist der Bösewicht der Nation geworden.

Im Ausland reiben sie sich die Augen. „Wann werden Sie Bundeskanzler?“, fragen Schweizer Journalisten Lindner wenige Tage später. „Ich bin Realist. Bundeskanzler zu werden war nie mein Ziel“, antwortet Lindner. Was bleibt ihm auch übrig mit gerade mal zehn Prozent der Wählerstimmen. Doch wer den Entschluss, die FDP zu retten, spontan unter der Dusche trifft, der fasst vielleicht auch in einer Novembernacht nach wochenlangen Verhandlungen mit der Kanzlerin den Gedanken: „Ich kann das besser.“

Aktuell muss die FDP erst einmal den Schaden begrenzen. Spekulationen über einen Parteichef mit Führer-Fantasien helfen da nicht weiter, zumal wenn sie dazu führen, dass sich die Leute erst recht kopfschüttelnd abwenden. „Wir sind keine Protestpartei“, winkt Fraktionsmanager Marco Buschmann ab. Der 40-Jährige gehört zu den strategischen Köpfen an Lindners Seite. Er beobachtet genau, wie sich die Stimmung im Land dreht. Waren sie zu schroff bei der Verkündung des Jamaika-Endes? Das fragen sie sich in der Parteispitze schon. Denn: Zwar beobachten die Liberalen auch nach dem Jamaika-Aus noch zahlreiche Parteieintritte, viele FDP-Wähler aber sind irritiert: Die Umfragen gehen runter – von 10,7 Prozent auf bis zu acht Prozent.

Das alles dürfte vorläufig nichts an Lindners Plan ändern. Sein Ziel bleibt, den Deutschen zu beweisen, dass den Liberalen die Zukunft gehört, während alle anderen Parteien sich vermeintlich im Jetzt verbeißen. Für eine solche Marketingstrategie braucht er Beinfreiheit – nicht das Korsett einer Koalition. Was nicht ausschließt, dass die FDP mit Lindner als Fraktionschef im Bundestag dennoch Bündnisse eingehen wird. Nur nicht mit der AfD: „Wir werden auch keine Initiativen in den Bundestag einbringen, die nur dann umgesetzt werden können, wenn die AfD den Ausschlag geben sollte“, sagt Lindner. Und um den Verdacht abzuwehren, die FDP könne jetzt dennoch rhetorisch nach rechts rücken, stellt Parteivize Wolfgang Kubicki klar: „Sie werden nie erleben, dass Freie Demokraten mit antidemokratischen und rassistischen Ressentiments spielen. Nie!“

In einer anderen Frage sind die Liberalen nicht so geschlossen. Gleich mehrmals pfeift der Parteichef seine Leute zurück, wenn sie vage andeuten, dass ein Jamaika-Bündnis im Bund nicht ein für alle Mal aus der Welt ist. Als erste trifft es Generalsekretärin Nicola Beer: Die Hürden seien hoch, hatte sie gesagt, doch wenn es möglich sei, „eine moderne Republik zu bauen in den nächsten Jahren, sind wir die Letzten, die sich Gesprächen verweigern“. Gesprächsbereit? Prompt meldet sich Lindner: „Das war eine falsche Interpretation ihrer Worte.“ Einige Tage später trifft es Kubicki. Auch er hatte Gespräche nicht kategorisch ausgeschlossen. „Wir sind schließlich keine Dogmatiker.“ Doch das lässt Lindner nicht durchgehen: „In dieser Wahlperiode ist Jamaika für niemanden mehr ein Thema. Wolfgang ist wohl falsch interpretiert worden“, twittert der Parteichef. Er kann sich das leisten, ohne ihn wäre die FDP nicht dort, wo sie ist. Noch hat er alles unter Kontrolle.