Athen.

Zum ersten Besuch eines türkischen Staatspräsidenten seit 1952 ist Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag in der griechischen Hauptstadt Athen eingetroffen. EU-Diplomaten sehen darin Erdogans Versuch, neue Brücken nach Europa zu bauen. Aber die Visite offenbarte vor allem die Differenzen zwischen beiden Ländern.

Die Liste der griechisch-türkischen Konflikte ist lang. Sie reicht vom Streit über die Hoheitsrechte und Wirtschaftszonen in der Ägäis bis zur ungelösten Zypernfrage. In jüngster Zeit sind neue Probleme hinzugekommen: Seit dem Putschversuch gegen Erdogan haben rund 1000 Türken in Griechenland Schutz gesucht, darunter acht Soldaten, die am Tag nach dem Coup mit einem Hubschrauber nach Nordgriechenland flohen. Die Türkei fordert ihre Auslieferung, aber ein griechisches Gericht gewährte ihnen Asyl – zum großen Missfallen Erdogans.

Noch vor Beginn seines Besuchs schürte Erdogan neuen Streit, als er in einem Fernsehinterview eine Überarbeitung des Vertrages von Lausanne forderte, der 1923 die Grenzen zwischen beiden Ländern definierte. Der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos stellte klar: Für Griechenland sind der Vertrag und die Grenzen nicht verhandelbar. Griechenland könne zwar für die Türkei „die Tür und das Fenster“ zur EU sein, sagte Pavlopoulos, aber nur unter der „selbstverständlichen Voraussetzung der vollständigen und ehrlichen Achtung des europäischen Rechts“. Erdogan nahm es mit mürrischer Mine zur Kenntnis.

Premierminister Alexis Tsipras unterstrich in der gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag mit Erdogan seine Bereitschaft, Brücken zwischen beiden Ländern zu bauen. Der studierte Bauingenieur Tsipras unterstrich aber: „Diese Brücken müssen auf soliden Fundamenten stehen. Dazu gehören der gegenseitige Respekt sowie die Achtung des Völkerrechts und der territorialen Integrität beider Länder.“ Tsipras spielte damit auf die Streitfragen zwischen beiden Ländern an, aber wohl auch auf die Demokratiedefizite in der Türkei.

Erdogan sprach von einem „historischen Tag“. Immerhin lag der letzte Besuch eines türkischen Staatspräsidenten in Griechenland 65 Jahre zurück. Umso wichtiger war es, dass weder der Gast noch die Gastgeber versuchten, die bilateralen Probleme unter den Teppich zu kehren. Sie kamen, wie aus Delegationskreisen zu hören war, nicht nur in den Gesprächen hinter verschlossenen Türen klar zur Sprache, sondern auch bei den öffentlichen Auftritten vor Kameras und Mikrofonen.

Gelohnt hat sich der Besuch wohl vor allem für Tsipras. Er ist ein geschickter politischer Taktiker und begreift, dass die Erdogan-Visite für ihn eine Aufwertung darstellt. Der griechische Premier wird wohl gleich nach Erdogans Abreise am Freitagabend zum Telefon greifen und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Kanzlerin Angela Merkel, EU-Chef Jean-Claude Juncker und anderen europäischen Spitzenpolitikern von seinem Treffen berichten. Er darf sich großen Interesses seiner Gesprächspartner sicher sein.