Sanaa/Tunis. Der Bürgerkrieg im Jemen eskaliert. Saudische Kampfflugzeuge bombardieren die Hauptstadt

Die Einwohner von Sanaa erlebten Tage und Nächte des Horrors. Stundenlang bombardierten saudische Kampfflugzeuge die jemenitische Hauptstadt. Mehrere Raketen trafen auch den Präsidentenpalast, der nahe am malerischen Zentrum der Stadt liegt und zum Weltkulturerbe gehört. In den Straßen lieferten sich Bewaffnete heftige Gefechte, die nach einer ersten Bilanz des Internationalen Roten Kreuzes mindestens 234 Menschen das Leben kosteten.

Gleichzeitig wird die humanitäre Lage in dem Bürgerkriegsland immer dramatischer. Die Hilfe in Sanaa bricht völlig zusammen. Wegen der Sicherheitslage hätten alle Leistungen vorerst eingestellt werden müssen, teilten mehrere internationale Hilfsorganisationen mit. Care, Oxfam, Save the Children und andere Organisationen forderten eine sofortige Waffenruhe in Sanaa. „Die jemenitische Bevölkerung verkraftet keine weiteren Rückschläge“, sagte Care-Länderdirektor Johan Mooij. „Die Gewalt zwingt die Bevölkerung dazu, sich in ihren Kellern zu verstecken.“ Vielen Menschen fehle es an Essen und Wasser. In Sanaa leben rund 3,5 Millionen Menschen.

Überall in der Stadt errichteten die schiitischen Huthis Kontrollpunkte und postierten Panzer. Für Dienstagnachmittag trommelte die Führung ihre Anhänger zu einer Großkundgebung zusammen, um „die Niederschlagung der Verschwörung“ zu feiern, wie es in ihrem TV-Sender Al-Masirah hieß. Die Vereinten Nationen versuchten derweil, ihre 140 Mitarbeiter aus Sanaa zu evakuieren.

Seit dem gewaltsamen Tod von Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh, der 48 Stunden zuvor seine Allianz mit den Huthis aufgekündigt hatte, wächst die Gefahr, dass die beiden regionalen Verbündeten der jemenitischen Bürgerkriegsparteien, Iran und Saudi-Arabien, direkt aneinandergeraten könnten. „Nach ihrem Versuch, den Huthis den Teppich unter den Füßen wegzuziehen, müssen die Saudis nun entscheiden, ob sie verhandeln wollen in einem Klima von null Vertrauen oder ob sie mit ihrer bisher weitgehend erfolglosen Militärkampagne weitermachen wollen“, schrieb Peter Salisbury, Jemen-Experte der Denkfabrik Chatham House. Saleh sei eine umstrittene Figur gewesen. „Aber er war auch die Person, die am ehesten fähig gewesen wäre, irgendeine Art von Einigung auszuhandeln.“ Sein Tod werde die Lage weiter verschlimmern. Und so schaltete sich aufseiten der Huthi-Rebellen erstmals Irans Präsident Hassan Rohani in den Konflikt ein. Er drohte offen, das jemenitische Volk werde dafür sorgen, dass die Angreifer ihr aggressives Vorgehen bereuten.

Huthi-Milizen werden von Iran unterstützt

Saudi-Arabiens Regierung dagegen äußerte die Hoffnung, das jemenitische Volk werde sich nun gegen die „terroristischen Huthi-Milizen“ erheben, die vom Iran unterstützt würden, und ihre Heimat befreien. Salehs Ermordung und die Art, wie dies geschehen sei, offenbare die kriminelle Natur und Menschenverachtung der Huthis, sekundierte der Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Abul Gheit. Deren Kämpfer hatten am Montagnachmittag den Konvoi des Ex-Präsidenten 40 Kilometer außerhalb von Sanaa mit einer Panzerfaust gestoppt und den 75-Jährigen erschossen.

Wenige Stunden später gab der im saudischen Exil lebende jemenitische Präsident Abed Rabbo Mansour Hadi seinen Regierungstruppen den Marschbefehl auf Sanaa. Er rief seine Landsleute in einer Fernsehansprache auf, sich gegen die „Verbrecherbande der Huthis“ zu erheben und „das geliebte Jemen von dem Albtraum zu befreien“. Sollten die sieben in der Nachbarprovinz stationierten Bataillone Sanaa angreifen, droht der Bevölkerung zwischen den Fronten ein Blutbad.

Über das Ausmaß der iranischen Unterstützung für die Huthis gibt es viele Spekulationen, aber wenig konkrete Fakten. Nach einer Analyse von UN-Experten stammte die Rakete, die von der schiitischen Miliz auf den internationalen Flughafen von Riad abgefeuert wurde, aus iranischer Produktion. Einschränkend jedoch hieß es in dem Bericht, man habe keine Beweise zur Identität der Händler oder Lieferanten. Bei dem am vergangenen Wochenende von den Huthis deklamierten Angriff auf den Al-Barakah-Atomreaktor in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist auf dem Propagandavideo der Abschuss einer Cruise-Missile zu sehen, die nach Angaben von Experten eindeutig das Aussehen einer iranischen Soumar-Rakete hat, eines Nachbaus des russischen Kh-55-Marschflugkörpers. Doch auch hier lässt sich nicht feststellen, ob die Waffe eine in jüngster Zeit ins Land geschmuggelte Soumar-Rakete war oder ein baugleiches russisches Modell, das die jemenitische Armee Jahre zuvor auf dem Schwarzmarkt erworben haben könnte.