Brüssel.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war die Enttäuschung anzumerken: „Dies ist kein Scheitern“, sagte er am Montag nach seinem Treffen mit der britischen Premierministerin Theresa May zerknirscht, „aber es ist der Start der allerletzten Runde.“ Eigentlich hatte schon das mit Spannung erwartete Mittagessen der beiden die allerletzte Runde des Brexit-Tauziehens sein sollen. Nach dem ursprünglichen Plan war dies die letzte Chance für May, um den Durchbruch zu erzielen. Doch trotz aller Kompromisssignale kam eine Einigung vor allem wegen Störfeuer aus Nordirland auch am Montag nicht zustande. Stattdessen gehen die Gespräche diese Woche noch weiter. Juncker und May zeigten sich nach ihrem Treffen dennoch zuversichtlich, dass in den nächsten Tagen eine Einigung noch gelingt. Sicher ist das aber nicht, ein Scheitern scheint nicht ausgeschlossen.

Worum ging es bei dem Treffen?

Der Druck auf die Verhandlungspartner, bei den Brexit-Gesprächen einen Kompromiss über ein Handelsabkommen zu erzielen, wurde in den letzten Wochen immer größer. Unternehmen und Bürger wollen Klarheit haben, womit sie nach dem Brexit im März 2019 rechnen müssen. In der britischen Wirtschaft wächst die Besorgnis, dass es zu einem abrupten Bruch mit verheerenden Folgen kommt. Die EU hält eisern an ihrem Kurs fest, erst die Scheidungsfragen zu regeln – und dann in Phase II über die künftige Beziehung zu verhandeln.

Der nächste EU-Gipfel kommende Woche gibt nur dann grünes Licht für die zweite Phase, wenn „ausreichender Fortschritt“ bei den Scheidungsfragen erzielt wurde. Um das zu klären, hatte die EU London ein Ultimatum bis zum gestrigen Montag gesetzt, vergeblich. Jetzt wird trotzdem die Woche über weiterverhandelt.

Wie liefen die Verhandlungen?

Über mehrere Stunden schien es, als wenn eine Einigung verkündet werden könnte. Kompromissformeln zu allen drei zentralen Streitfragen lagen auf dem Tisch. May, die innenpolitisch enorm unter Druck steht, hatte bei den heiklen G-Themen schon deutlich eingelenkt: Geld, Grenzfragen und Gerichtsstreit. Aber dann musste sie einen Rückzieher machen, weil ihr Koalitionspartner, die nordirische DUP, den Kompromiss zur Grenze zwischen Irland und Nordirland nicht mittragen mochte. Und die EU-Seite stellte daraufhin auch eigene Zugeständnisse zurück. So gelang es am Ende nicht, die abschließende Verständigung zu erzielen. Höflich, aber wohl genervt meinte Juncker, May sei eine „harte Verhandlerin“.

Wie viel muss London bezahlen?

Am Ende eine Summe zwischen 50 und 60 Milliarden Euro, die Gegenforderungen an die EU schon eingerechnet. Mit dem Geld sollen langfristige Zahlungen etwa für Beamtenpensionen oder gemeinsam beschlossene Ausgabenprogramme abgedeckt werden. Die genaue Summe steht noch nicht fest, London hat aber nach langem Zögern die Finanzverpflichtungen anerkannt. Dieses Problem scheint weitgehend ausgeräumt.

Und die anderen Knackpunkte?

Größtes Problem ist die Irland-Grenze: Wenn Großbritannien die EU, Binnenmarkt und Zollunion verlässt, muss zwischen dem britischen Nordirland und der zur EU gehörenden Republik Irland eine Grenze errichtet werden - schon wegen fälliger Zölle und unterschiedlicher Handelsvorschriften. Irland will aber Garantien, dass der bisher einheitliche Raum erhalten bleibt. Aber wie? Formulierungen in der Vereinbarung sollen jetzt sicherstellen, dass es nicht zu einer harten Grenze kommt. Die Grenze zwischen Irland und Nordirland soll nach dem Brexit so aussehen wie heute – mit möglichst wenig Regelungsunterschieden für die Wirtschaft.

Aber: May steht in dieser Frage plötzlich unter stärkstem Druck der DUP, die im Unterhaus die Tory-Regierung stützt – die DUP will keinen Sonderstatus für Nordirland, der die Provinz vom übrigen Königreich abkoppeln könnte. Nordirland müsse zu den selben Bedingungen die EU verlassen wie der Rest Großbritanniens, stellte die DUP am Montag klar. Damit stand der Kompromiss in Frage.

Wie geht es jetzt weiter?

Endgültig über die nächste Verhandlungsphase entscheiden müssen die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember. Stimmen sie zu, könnte ab Januar über die Handelsfragen gesprochen werden – wenn nicht, wird die Zeit bis zum EU-Austritt Großbritanniens gefährlich knapp. Bis zum Frühjahr 2019 werden diese Verhandlungen nicht abgeschlossen sein, deshalb soll auch über eine mehrjährige Übergangsphase nach dem Brexit geredet werden. Voraussetzung ist aber, dass May ihr Kabinett, ihre konservativen Tories und die nordirische DUP von dem Deal überzeugen kann. Sicher ist das noch nicht.

Wie schwierig werden die Verhandlungen über das Handelsabkommen?

Sehr schwierig. Premierministerin May strebt eine „besondere Partnerschaft“ mit der EU an, vor allem sehr enge Handelsbeziehungen. Am liebsten wäre London ein Freihandelsabkommen wie zwischen der EU und Norwegen, ohne die strikten Auflagen zu erfüllen, die Norwegen akzeptiert. Das wird nicht funktionieren.

Ist der Brexit noch zu stoppen?

Theoretisch ja, jedenfalls halten Juristen überwiegend eine Rücknahme des Austrittsgesuchs für möglich, solange Großbritannien noch EU-Mitglied ist. Das britische Parlament müsste den Rückzieher beschließen. Aber: In Großbritannien ist keine etablierte Partei in Sicht, die sich dafür einsetzen würde. Forderungen von Ex-Premier Tony Blair nach einem Stopp des Brexit-Prozesses finden kaum Unterstützung. Blair rechnet aber damit, dass sich die Stimmung noch dreht, wenn die Bürger erst realisieren, was der Brexit kostet.