Berlin/München.

Markus Söder konnte sein Grinsen nicht ganz hinter einer staatsmännischen Miene verbergen. Als der bayerische Finanzminister nach der Sitzung der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag vor die Presse trat, hatte er sein Ziel gerade erreicht: Er wird den 68 Jahre alten Horst Seehofer als bayerischen Ministerpräsidenten beerben. Seehofer hatte zuvor seinen Rücktritt als Ministerpräsident im Frühjahr 2018 angekündigt. Die CSU-Fraktion hatte sich dann in öffentlicher Abstimmung einstimmig für den 50-jährigen Söder als neuen Regierungschef und Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Herbst 2018 ausgesprochen.

Söder erklärte, die Partei habe mit „Anstand und Würde“ einen Weg aus den Querelen gefunden. Es komme jetzt darauf an, „vor der Geschichte zu bestehen, vor der Geschichte der CSU und der Geschichte dieses Landes“. Dazu müssten die Stärksten eng zusammenarbeiten. Er werde versuchen, seinen „Beitrag zu bringen, mit Arbeit, mit Fleiß“. Politik sei immer eine „Mannschaftsleistung“.

Ein denkwürdiger Tagin München

Seehofer begründete seinen Rückzug als Ministerpräsident ein paar Stunden später. „Das Werk ist getan, möchte ich nach fast lückenlosen Gesprächen sagen“, teilte er mit und betonte, dass Söder und er unbemerkt von der Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen öfter miteinander gesprochen hätten. Man habe sich dabei gegenseitig eine gute Zusammenarbeit versprochen: Da seien sich beide einig, „dass die Ankündigung mit Worten alleine nicht reicht, sondern sie muss im Alltag gelebt werden. Das werden wir beide tun.“ CSU-Chef aber wolle er bleiben und beim Parteitag in Nürnberg Mitte Dezember noch einmal antreten. Das sei „vielfacher Wunsch“ in der Partei.

Der Montag war ein denkwürdiger Tag in München. Der jahrelange Machtkampf zwischen den beiden Alphatieren, dem Franken Söder und dem Oberbayer Seehofer, wurde zugunsten Söders entschieden. Seehofer, der ursprünglich auch als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2018 antreten wollte, kandidiert nicht mehr, muss auch den Regierungsposten früher räumen. Und er hat es nicht vermocht, einen Nachfolger seiner Gnaden zu installieren.

Zeitweise sah es so aus, als würde der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, wie Söder ein Franke, als Gegenkandidat in der Fraktion antreten; daraus wurde nichts. Nach dem Wahldebakel von 38,8 Prozent bei der Bundestagswahl unter Seehofers Leitung führte an seinem Gegner Söder kein Weg mehr vorbei.

Seehofer stand seit dem CSU-Fiasko bei der Bundestagswahl unter Druck, mindestens eines seiner Ämter abzugeben. So sehr er sich auch wehrte, die Entscheidung hinauszögerte, Entscheidungen vertagte: Söder hatte im Kampf um das Erbe zu viele Truppen auf seine Seite gebracht. Besonders starken Rückhalt genießt Söder in der Landtagsfraktion. Die war es am Ende auch, die Seehofer ein Weiter-so nicht mehr ermöglichen wollte.

Wer ist der Kronprinz Markus Söder, den man außerhalb Bayerns bislang vor allem als Talkshow-Gast wahrgenommen hat? Der ehrgeizige Politiker ist ein akribischer Arbeiter. Seit 1983 Mitglied der CSU, brachte er es von 2003 bis 2007 zum Generalsekretär unter Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber. Dieser wählte ihn zu seinem politischen Ziehsohn, Söder bezeichnet wiederum Stoiber als „Mentor und politische Vaterfigur“. Seit zehn Jahren ist Söder Finanzminister in Bayern und verwaltet sein Ressort sehr erfolgreich. Auch Gegner bescheinigen ihm gute Arbeit.

Doch der Vater von vier Kindern polarisiert mit seinem ausgeprägten Machtwillen und seiner oft polternden Art. Die Führungsspitze der Partei, etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt oder Kabinettskollegin Ilse Aigner, gelten dezidiert nicht als Söder-Freunde. Privat ist über Söder weniger bekannt. Er gilt als passionierter Schwimmer und glühender Freund des Karnevals. Ob als Comicfigur, Transvestit oder indischer Widerstandskämpfer Mahatma Gandhi: Seine Kostüme sind legendär. Aus seinen Karriereplänen machte Söder nie einen Hehl: „Ab 50 beginnt im Leben eines Mannes die Zeit der Ernte“, zitiert er gern seinen Vater. Was das für ihn bedeute, werde die Zeit zeigen – persönlich wie politisch, sagte er Anfang dieses Jahres. Damals gingen sie in der CSU noch von einem friedlichen Übergang der Macht aus. Daraus wurde bekanntlich nichts. In letzter Zeit erklärte Söder schmunzelnd den Song der Rolling Stones „Time is on my Side“ (die Zeit läuft für mich) zu einem seiner Lieblingstitel. Warum Seehofer und Söder sich in so herzlicher Abneigung verbunden sind, ist Anlass zu vielen Legenden in der CSU. Kolportiert wird die Vermutung Seehofers, dass Söder dessen damaliges Verhältnis zu einer Bundestagsmitarbeiterin und das neu geborene uneheliche Kind öffentlich machte. Schon vor Jahren warf Seehofer ihm „charakterliche Schwächen“ und einen „pathologischen Ehrgeiz“ vor, der Finanzminister leiste sich „zu viele Schmutzeleien“. Doch auch Seehofer teilte oft mit einer Wucht gegen Söder aus, die in der Partei Staunen hinterließ. Seehofer und Söder als Doppelspitze, wie also soll das gehen? „Heute definitiv sehr herzlich“, berichtete der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel von seinem Eindruck am Montag.

Dem neuen Tandem ist vor Augen, dass nach dem menschlich fragwürdigen Sturz des damaligen Vorsitzenden Edmund Stoiber die CSU bei den Landtagswahlen 2008 mehr als 17 Prozentpunkte einbüßte. Uneinigkeit kommt beim Wähler nicht an.

So wollen sich beide schon in der Phase des Übergangs eng abstimmen: Konkret soll Söder beispielsweise die programmatische Hauptrede auf der CSU-Fraktionsklausur im Januar halten. Und: Sollte es zu neuen Koalitionssondierungen in Berlin kommen, wird Söder diesmal der großen CSU-Verhandlungsdelegation angehören.

Aber wer ist dann der eigentliche Chef? Söder überlegte kurz und sagte dann: Es sei so, „dass der Parteivorsitzende der Vorsitzende der Partei ist - und ein Ministerpräsident ist Ministerpräsident“. Ob das reicht?

In der Schwesterpartei CDU freut man sich zumindest darüber, dass Seehofer mögliche Gespräche mit der SPD für die CSU anführen wird. Bei allen Differenzen weiß Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei Seehofer immerhin, woran sie ist. Söder hingegen ist der Kanzlerin nicht vertraut.

Ob Seehofer in ein neues Kabinett Merkel eintreten würde, ließ er am Montag offen. Es sei noch nicht an der Zeit, über Posten zu reden, da es keine Regierung gebe. „Ich bin ein sehr freier Mensch“, sagte er. Und: „Ich bin jetzt nicht in der Karriereplanung für mich, wirklich nicht.“ Es gab herzliches Gelächter bei der Pressekonferenz.