Warschau/Berlin.

Tausende Menschen standen auf den Straßen in vielen Städten Polens. Immer und immer wieder protestierten sie gegen die geplante Justizreform. Nun beginnt die Woche der Entscheidung: Sie könnte das Ende unabhängiger Justiz in Polen besiegeln.

Viele Menschen sind längst verzweifelt, manche hat der lange Kampf zwischen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) und der Opposition müde gemacht. Etliche haben resigniert. Die Zustimmungswerte für PiS sind hoch wie nie. 45 Prozent der Polen würden heute für die Partei stimmen (bei der Wahl 2015 kam sie auf 37,6 Prozent). Das Land rückt weiter nach rechts-außen.

Deutscher Richterbund sieht Demokratie in Gefahr

Das war nicht immer so. Im Sommer vergangenen Jahres weigerte sich Staatspräsident Andrzej Duda noch, zwei der ihm vorgelegten Gesetze zur Justizreform zu unterzeichnen. Er stellte sich damit erstmals gegen den mächtigen PiS-Chef Jarosław Kaczyński – und das, obwohl er als dessen Kandidat galt. Ein anderes Gesetz, gegen das Duda kein Veto einlegte, trat damals allerdings in Kraft. Es ermöglicht dem Justizminister, Zbigniew Ziobro, ein Hardliner der Regierenden, die Vorsitzenden polnischer Gerichte selbst zu nominieren. Das ist eine deutliche Verschiebung in der Architektur des Justizwesens.

Die beiden von Duda nicht unterzeichneten Gesetze wurden zurück an den Sejm delegiert, das polnische Parlament, in dem die PiS die absolute Mehrheit hat. Dort debattiert derzeit ein Ausschuss über die Gesetze. Am Dienstag schon könnten sie durchgewinkt werden und bald in Kraft treten. Die Folge: Abschaffung des Rechtsstaates.

Worum geht es genau? Das erste Gesetz soll dem Parlament erlauben, die Mitglieder des Landesjustizrates zu benennen. Der Rat nominiert Richter. Wer also den Landesjustizrat kontrolliert, kontrolliert die Justiz in Polen – das Ende der Gewaltenteilung. Das zweite Gesetz sieht vor, das Rentenalter der Richter am Obersten Gericht auf das 65. Lebensjahr zu senken.

Was harmlos klingt, würde das Gericht von einem Moment auf den anderen auf den Kopf stellen. Etwa 40 Prozent der Richter wären von der Regelung betroffen und müssten in den Ruhestand gehen. Eine Mehrheit der PiS würde die frei gewordenen Posten mit Gefolgsleuten besetzen.

Die Opposition beklagt, dass bereits die Debatten im Justizausschuss des Parlaments nicht demokratisch ablaufen. Stanisław Piotrowicz, ein ehemaliger Staatsanwalt zur Zeit des Kommunismus, leitet als Vorsitzender die Ausschussarbeit. Er hat den Oppositions-abgeordneten ihre Redezeit auf eine Minute gekürzt.

Und die Regierenden erhöhen Druck auf kritische Parlamentarier. Bis kommenden Dienstag spätestens sollen die Debatten beendet sein. Dann stimmt der Sejm über die Gesetze ab, anschließend die zweite Kammer des polnischen Parlaments. Unabhängige Rechtsexperten übrigens wurden im Ausschuss bisher nicht angehört. Sie betonen, dass die geplante Justizreform verfassungswidrig sei, so wie Marcin Matczak, Rechtsprofessor an der Universität Warschau. Als Bedrohung für den Rechtsstaat sieht er vor allem die Idee der PiS, eine vollständig von Politikern abhängige Justiz zu schaffen. Jedes Urteil könnte angefochten werden, bis es den Regierenden passt. Eine Art ausgegliederte Kammer des Obersten Gerichts soll Urteile auch noch nach 20 Jahren rückwirkend prüfen können – und da sollen bald überwiegend Pro-PiS-Richter sitzen.

Stimmen wie die von Matczak sind wichtig geworden. Denn die Instanz, die in Polen eigentlich entscheidet, was verfassungswidrig ist, haben die Nationalkonservativen vor einem Jahr unter Kontrolle gebracht: das Verfassungsgericht. 2016 hat die PiS dort der Partei wohlgesonnene Richter ernannt, die seitdem in ihrem Sinne Recht sprechen. Im Juni zum Beispiel machte das Verfassungsgericht den Weg frei für das Gesetz über den Landesjustizrat.

Kritik an der Politik der polnischen Regierung ist auch im Ausland groß. Seit Monaten warnt die Europäische Kommission, die Justizreform verletze die polnische Verfassung und stehe somit nicht in Einklang mit europäischem Recht. Hierzulande fordert der Deutsche Richterbund (DRB) Polen auf, zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren. „Die umstrittenen Reformen der polnischen Justiz müssen in den parlamentarischen Beratungen gestoppt werden“, sagte der Vorsitzende Jens Gnisa dieser Redaktion. „Der Rechtsstaat ist für den Bestand von Demokratien elementar. Die Lage in der Türkei, Rumänien oder Polen zeige, wie schnell die Elemente des Rechtsstaates ausgehebelt werden könnten. „In Polen ist die Unabhängigkeit der Gerichte in Gefahr.“ Laut einer EU-weiten Umfrage gaben drei von vier polnischen Richtern an, dass die Regierung ihre Unabhängigkeit nicht achte. „Das ist alarmierend“, sagte Gnisa.

Parteichef Kaczynski deutet diese Kritik aus dem Ausland als „Attacke auf die Souveränität Polens“. Und auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das PiS sich schon nach der Regierungsübernahme Ende 2015 untertan gemacht hat, und das mittlerweile eher ein Staatsfernsehen ist, schießt gegen Kritiker der Justizreform. In den Hauptnachrichten, „Wiadomości“, wurden vorige Woche die Reaktionen aus Brüssel als „Angriff auf die von Polen herbeigesehnte Justizreform“ bezeichnet.