Washington. Der frühere Präsidenten-Berater gesteht vor Gericht, in der Russland-Affäre mehrfach gelogen und Moskau auf Weisung kontaktiert zu haben

Beim Republikaner-Parteitag in Cleveland im Sommer 2016 war Michael Flynn eine der lautesten Stimmen im Chor derer, die Hillary Clinton hinter Gittern sehen wollten und „Sperrt sie ein“ skandierten. Begründung des Drei-Sterne-Generals: Wenn er nur „ein Zehntel“ dessen verbrochen hätte, was die damalige demokratische Rivalin Donald Trumps um die Präsidentschaft mit ihren undurchsichtigen E-Mails als Außenministerin getan habe, säße „ich längst im Gefängnis“.

Was nicht ist, kann noch kommen.

Der frühere Nationale Sicherheitsberater von Präsident Donald Trump hat sich am Freitag vor einem Gericht in Washington in der Russland-Affäre spektakulär eines Verbrechens für schuldig erklärt. Er hat Ende 2016 mit dem damaligen russischen US-Botschafter Sergej Kisljak gesetzwidrige Absprachen getroffen und in späteren Vernehmungen die Bundespolizei FBI darüber in „Vertuschungsabsicht“ mehrfach belogen.

Trump soll Flynn – direkt oder indirekt – beauftragt haben

Höchst brisant für seinen früheren Boss im Weißen Haus: Um sein Strafmaß (maximal fünf Jahre) zu senken, muss Flynn bis zur Urteilsverkündung in drei Monaten gegenüber dem vom Justizministerium eingesetzten Sonderermittler Robert Mueller „auspacken“. Der frühere FBI-Chef untersucht seit sieben Monaten die mutmaßliche Einflussnahme des Kreml auf die US-Wahl 2016 und mögliche unlautere Verbindungen von Trumps Wahlkampfteam nach Moskau.

Dass Flynn, der über Monate so nah an Trump war wie kaum ein anderer, sein Herrschaftswissen preisgeben will, zeichnete sich bereits während des Geständnisses ab. Er sei kein „Landesverräter“, sagt Flynn. Er stehe aber zu seinen Taten und werde im „besten Interesse meiner Familie und des Landes“ mit Mueller kooperieren.

Danach wird Flynn bezeugen, dass Präsident Trump ihn indirekt mit der Kontaktaufnahme zu dem intimen Putin-Vertrauten Kisljak beauftragt hat. Die Order sei über ein „hochrangiges Mitglied“ von Trumps Übergangsteam gelaufen, das zwischen der Wahl am 8. November 2016 und der Amtseinführung am 20. Januar 2017 arbeitete, sagte Flynn, nannte aber (noch) keinen Namen. Nach einem Bericht von NBC News soll es sich um Trumps Schwiegersohn Jared Kushner gehandelt haben. Der Sender ABC berichtete dagegen mit Verweis auf einen anonymen Mitwisser, Trump selbst habe Flynn instruiert. Was den Präsidenten laut Juristen „an den Rand der Amtsenthebung bringen könnte“.

Konkret hatte Flynn, der einst den Militärgeheimdienst DIA leitete, Kisljak gebeten, eine Abstimmung über eine Resolution im UN-Sicherheitsrat zu Israel zu verzögern. Zudem sollte der Kreml verschärfte Sanktionen der amtierenden Obama-Regierung politisch nicht bekämpfen, weil sie doch unter der neuen Administration gelockert würden. Weil Trump zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Amt war, handelte es sich nach dem Logan-Act, einem Gesetz aus dem Jahr 1799, um eine gesetzwidrige Intervention in laufende Regierungsgeschäfte.

Flynn hatte die Vorwürfe, die durch Abhörmaßnahmen erhärtet wurden, lange bestritten, obwohl die damalige Vize-Justizministerin Sally Yates das Weiße Haus schon im Januar diskret informiert hatte. Sie wurde kurz danach von Trump entlassen. Weil Flynn mit seiner Lüge Vizepräsident Mike Pence in Bedrängnis gebracht hatte, musste er nach nur 24 Tagen von seinem Posten des Nationalen Sicherheitsberaters zurücktreten.

Sein Geständnis ist bereits der vierte Rückschlag für Trump. Zuvor hatte Sonderermittler Mueller gegen Trumps früheren Wahlkampfmanager Paul Manafort, dessen Geschäftspartner Rick Gates sowie den früheren außenpolitischen Berater George Papadopulos unter anderem Anklage wegen Steuerhinterziehung erhoben. Trump hatte sich bei dem Anfang 2017 noch amtierenden FBI-Chef James Comey dafür eingesetzt, Ermittlungen gegen Flynn „ruhen zu lassen“. Comey weigerte sich und wurde kurz danach von Trump entlassen.

Ty Cobb, einer der Topanwälte, die Trump zur eigenen Verteidigung in der Causa Russland angeheuert hat, zog nur Minuten nach Flynns Geständnis eine Brandmauer hoch: „Niemand außer Flynn“ sei in die Sache verwickelt, sagte er. Dass Flynn gegenüber dem FBI gelogen habe, spiegele nur seine „falschen Aussagen“ gegenüber dem Weißen Haus wider, was schließlich zu seinem Rücktritt geführt habe. Botschaft: Der Mann hat auf eigene Karte gehandelt. Der Präsident hat nichts damit zu tun.

Eine Einschätzung, deren Haltbarkeit dahinsteht. An den Börsen sorgte das Geständnis Flynns zeitweilig für deutliche Kursabstürze. Hintergrund laut Analysten: „Zum ersten Mal hat ein hochrangiger Mitarbeiter des Weißen Hauses ein Verbrechen gestanden. Das belastet auch den Präsidenten enorm.“ Zumal Trump die Russland-Affäre bis heute als „Erfindung der Medien“ oder „Rache der Demokraten“ für die Wahlniederlage Clintons bezeichnet. Seine Argumentation war bis zuletzt, dass Mueller nach Weihnachten die Ermittlungen in der Affäre beenden wird. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Flynn ist nur ein weiterer Baustein. Trumps Sohn Donald Jr. und Schwiegersohn Jared Kushner, die beide ebenfalls ausgedehnte und teils dubiose Russland-Kontakte hatten, „werden die Nächsten sein“, schreiben US-Medien.