Hannover.

Vor gut einer Woche ist Stephan Weil erneut zum Ministerpräsidenten von Niedersachsen gewählt worden. Der SPD-Politiker führt nun eine große Koalition und macht deutlich, dass er auch im Bund stabile Mehrheitsverhältnisse befürworten würde. Bis es so weit ist, wünscht er sich enge Absprachen mit der Union, damit die amtierende Bundesregierung handlungsfähig ist.

Herr Ministerpräsident, wenn sich einer Ihrer Minister nicht an den Koalitionsvertrag hält und auch nicht an die Vorgaben aus der Staatskanzlei – wie reagieren Sie?

Stephan Weil: Wenn so etwas in Niedersachsen wirklich vorkäme, dann hätte das sehr ernste Konsequenzen. Ich würde entweder die Dunkelgelbe oder die Rote Karte zeigen.

Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hat eigenmächtig der Weiterverwendung des Unkrautgifts Glyphosat zugestimmt, was die SPD schwer empört. Muss Schmidt zurücktreten, damit die kommenden Gespräche mit der Union gelingen?

Ich kann der Bundeskanzlerin da keinen Rat erteilen. Soweit im Nachhinein bekannt geworden ist, hatte sie dem Minister klare Weisungen geben lassen. Sie muss zeigen, dass sie ihren Laden im Griff hat. Klar ist aber, dass das Vertrauen zu CDU und CSU dadurch ernsthaft und unnötig belastet ist.

Am Donnerstagabend waren die Spitzen von Union und SPD beim Bundespräsidenten. Was hat Ihr Parteichef berichtet?

Wie Martin Schulz selbst gesagt hat: Die SPD ist bereit zu Gesprächen mit der Union – ernsthaft und ergebnisoffen.

Worauf kommt es bei den Gesprächen zwischen Union und SPD nun an?

Wir brauchen ein klares Signal gegen Stillstand. Das Thema Glyphosat ist das beste Beispiel dafür, dass es nicht reicht, wenn die Bundesregierung die Geschäftsführung nur halbherzig betreibt. Sie kann und muss auch in dieser Übergangszeit verantwortungsvoll agieren. CDU, CSU und SPD sollten sich schnell auf ein Arbeitsprogramm für die nächsten Monate verständigen. Was sind wichtige, unaufschiebbare Aufgaben? Wie sind sie zu lösen? Die drei Parteien tragen die amtierende Regierung, sie haben im Bundestag eine Mehrheit. Sie müssen das Land handlungsfähig halten, bis wir eine neue Bundesregierung haben.

Das wäre eine Art Vor-Koalition?

Nein, das wäre ein solides Arbeitsprogramm für die nächsten Monate. Das würde uns Zeit verschaffen für Gespräche zwischen Union und SPD und zeigen, dass es kein Vakuum gibt. Wir sind ja nicht in einer Staatskrise, nur in einer Regierungsbildungskrise. Eine solche Absprache wäre auch ein wichtiges Signal an europäische Nachbarn. Eine instabile Bundesrepublik ist für Europa Gift.

In welcher Weise sollen Union und SPD zusammenarbeiten?

Es sind mehrere Formen denkbar. Natürlich muss auch über die große Koalition gesprochen werden. Aber man sollte ebenso ernsthaft Alternativen wie eine Minderheitsregierung prüfen. Eine Neuwahl wäre die schlechteste Option.

Sie sind Ministerpräsident einer großen Koalition. Können Sie die empfehlen?

Es gibt einen großen Unterschied zum Bund: Die SPD in Niedersachsen hat einen klaren Wählerauftrag, aber auch die CDU hat hier Rückhalt in der Bevölkerung. Im Bund gab es am 24. September die klare Ansage an die SPD: Ihr habt keinen Regierungsauftrag, erneuert euch in der Opposition. Jetzt gibt es eine neue Situation. Ohne die SPD kommt keine handlungsfähige Bundesregierung zustande. Wir müssen uns fragen, ob wir nur auf uns selbst schauen dürfen. Die SPD hat sich immer auch für das große Ganze verantwortlich gefühlt.

Was ist ihre Empfehlung?

Die SPD darf der Verantwortung nicht ausweichen. Das muss nicht in einer großen Koalition enden. Aber: Wir tragen eine Mitverantwortung dafür, dass in Deutschland wichtige neue politische Weichenstellungen getroffen werden, die das Land zukunftsfähig machen und der sozialen Spaltung entgegenwirken. Ich hoffe, dass viele SPD-Mitglieder diesem Gedanken folgen können, wenn auch nicht mit Begeisterung.

Wie könnte man der Basis die Skepsis vor einer großen Koalition nehmen?

Indem man gemeinsam ganz ruhig und unaufgeregt die verschiedenen Optionen bis zum Ende gedanklich durchgeht. Dazu sind zuvor Gespräche mit der Union unerlässlich.

Welche Optionen gäbe es noch?

Neben einer Koalition gibt es eine Reihe anderer Varianten. Eine Minderheitsregierung ohne oder mit Tolerierungsvereinbarung zum Beispiel. Alles hat Vor- und Nachteile.

In einer Minderheitsregierung hätte die SPD kein eigenes Personal. Was gewönnen Sie dadurch?

Diejenigen, die eine Minderheitsregierung gut finden, weisen darauf hin, dass wir damit unter Beweis stellen würden, dass wir den Wählerwillen verstanden haben, aber dennoch Mitverantwortung übernehmen. Angeführt wird auch das Argument, dass man so parlamentarische Rituale aufbrechen könnte.

Passt das zu der Stabilität, die Sie fordern?

Deutschland hat keine Erfahrung mit wechselnden Mehrheiten. Wir wissen nicht, ob das wirklich gelingen könnte und wir stabile Verhältnisse hätten. Übrigens: Beide Parteien haben stark verloren. Ein „Weiter so!“ kann es also in keinem Fall geben, auch unabhängig von der Regierungsformation.

Welche inhaltlichen Forderungen haben Sie an eine Zusammenarbeit mit der Union?

Ich halte nichts davon, jetzt dicke rote Linien zu malen. Das macht die Sache nicht einfacher. Natürlich werden in den Gesprächen die Themen soziale Sicherheit und Zusammenhalt in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Und gewiss auch eine ausgeprägte Unterstützung der Europäischen Union und ein engagiertes Zusammenwirken mit Frankreich bei den anstehenden Reformen.

Würden Sie in der Steuerpolitik zusammenfinden? Die SPD will den Spitzensteuersatz erhöhen, die Union nicht.

Wir haben im Wahlprogramm einen konkreten Vorschlag zur Steuerpolitik gemacht. Darüber müssen wir sprechen. Wir wollen den Soli abschaffen und ihn zur Hälfte den Bürgerinnen und Bürgern zurückgeben. Das entlastet alle. Die andere Hälfte wollen wir in die Einkommensteuer eingliedern und den Spitzensteuersatz erhöhen. So könnten untere und mittlere Einkommen spürbar entlastet werden. Das wäre ausgewogen und für Bundeskasse wie für Länderhaushalte vertretbar.

Was halten Sie von den Plänen der Union zum Thema Migration und Flüchtlinge? Der Kompromiss zwischen CDU und CSU sieht vor, dass nicht mehr als 200.000 Flüchtlinge pro Jahr nach Deutschland kommen sollen.

Ganz ehrlich: Ich habe diesen geheimnisvollen Kompromiss von CDU und CSU noch immer nicht verstanden. Für die SPD ist das Grundrecht auf Asyl nicht verhandelbar. Wir müssen auch mehr für die Integration tun. Wir hätten wohl auf allen Politikfeldern genügend Stoff, um ein überzeugendes Programm für eine Zusammenarbeit zu finden. Auch die Union kann kein Interesse an einen „Weiter so!“ haben. Aber zunächst ist der SPD-Parteitag am Zuge.

Kann der SPD-Parteitag Gespräche mit der Union verhindern?

Ich hoffe nicht, dass der Parteitag Gespräche mit der Union ablehnt. Ich wünschte mir ein Verhandlungsmandat für die Parteispitze. Es kann der SPD nicht egal sein, ob die Regierungsbildung gelingt oder scheitert.

Welche Rolle spielt der Parteichef? Martin Schulz wirkt, als sei er ohne Kompass.

Da täuschen Sie sich. Die SPD muss gerade schwierige Entscheidungen fällen, da muss der Kompass immer mal wieder neu austariert werden. Die niedersächsische SPD und auch ich persönlich unterstützen Martin Schulz bei dieser schwierigen Aufgabe.

War es falsch, dass sich Schulz nach dem Platzen der Jamaika-Verhandlungen gegen eine große Koalition und für eine Neuwahl aussprach?

Nach den Bundestagswahlen war dieser Standpunkt völlig richtig. Nach dem Scheitern von Jamaika haben wir aber eine andere Situation. Deswegen haben wir inzwischen unseren Standpunkt überprüft. Beides waren keine einsamen Entscheidungen, sondern sind von der gesamten Parteispitze getragen worden.

Schulz will Parteichef bleiben. Viele meinen, der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz wäre besser dafür geeignet. Sehen Sie das auch so?

Erstens: Ich unterstütze meinen Parteivorsitzenden nachdrücklich. Zweitens: Ich schätze Olaf Scholz außerordentlich. Drittens: Auf dem Parteitag kandidieren Martin Schulz als Vorsitzender und Olaf Scholz als sein Stellvertreter. Deshalb muss ich da keine Auswahl treffen.