Berlin/Brüssel. Agrarminister Schmidt hat nicht nur sich selbst, sondern auch die Kanzlerin in Bedrängnis gebracht. Vor allem die SPD übt nun Kritik.

Äußerlich lässt sich Angela Merkel nicht anmerken, was sie denkt. Allenfalls an der Wortwahl ist erkennbar, wie sauer die Bundeskanzlerin ist. „Das entsprach nicht der Weisungslage der Bundesregierung“, sagt Merkel mit ruhiger Stimme. „Ich erwarte, dass sich das nicht noch einmal wiederholt.“ Das ausdruckslose Gesicht, das sie dabei macht, gibt den Worten noch zusätzliche Schärfe.

Es sind selten klare Sätze, mit denen die Kanzlerin ihrem Landwirtschaftsminister am Dienstag

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. Ausgerechnet einer der unbekanntesten Minister der amtierenden Bundesregierung, der CSU-Politiker Christian Schmidt, hat eine Krise zwischen Union und SPD verursacht. Er hatte am Montag für die Weiterverwendung des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in der Europäischen Union gestimmt – obwohl Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) dagegen ist. Und obwohl sich die Bundesregierung in solchen Fällen enthalten muss. Entsprechend verstimmt sind die Sozialdemokraten.

SPD sieht in Vorgehen Vertrauensbruch

Schon in politisch normalen Zeiten hätte ein solches Verhalten zu großem Krach in der Koalition geführt. In einer Zeit aber, in der nur eine geschäftsführende Regierung im Amt ist und CDU und CSU händeringend nach einem Koalitionspartner suchen, ist Schmidts Verhalten ein schwerer politischer Fehler. Nur mühsam gewöhnt sich die SPD gerade daran, vielleicht doch noch in eine große Koalition einzutreten.

Am Donnerstag wird der Bundespräsident versuchen, CDU-Chefin Merkel und die Vorsitzenden von CSU und SPD,

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und Martin Schulz, auf gemeinsame Gespräche zu verpflichten. Aktuell ist das Klima eisig. Von „Vertrauensbruch“ spricht SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles.

Altmaier soll auch noch mal mit Schmidt reden

Auf der Pressekonferenz im Kanzleramt, auf der sich Merkel äußert, geht es eigentlich um Diesel-Fahrverbote in Großstädten. Die Frage eines Journalisten, ob sie ihren Minister nun entlassen werde, beantwortet Merkel nicht. Sie macht deutlich, dass sie in Schmidts Entscheidung nicht eingebunden war.

Grüne fordern Entlassung von Landwirtschaftsminister Schmidt

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    Die Absprachen in der Regierung müssten eingehalten werden. Das habe sie Schmidt persönlich gesagt. Darauf werde auch der Chef des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier (CDU), noch einmal hinweisen. Inhaltlich sei sie auf der Linie des Landwirtschaftsministers, so Merkel: Das „Auseinanderfallen“ in der Bundesregierung sei „bedauerlich“. Damit, so hofft die Kanzlerin, sollte die Angelegenheit erledigt sein. Sie würde sie gern sofort vergessen machen.

    Umweltministerin Barbara Hendricks: „Einfach nur dämlich“

    Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) fand deutliche Worte für die Entscheidung ihres Ministerkollegen.
    Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) fand deutliche Worte für die Entscheidung ihres Ministerkollegen. © dpa | Kay Nietfeld

    Umweltministerin Hendricks sieht das anders. Die SPD-Politikerin sitzt in der Pressekonferenz zunächst schweigend neben Merkel. Danach stellt sie sich vor die Fernsehkameras. Hendricks kämpft seit Monaten gegen das Unkrautmittel, das womöglich Krebs verursachen kann, aber sie weiß natürlich, dass es jetzt nicht wirklich um Glyphosat geht. Es geht um das Klima zwischen SPD und Union. In einer Zeit, in der sich die SPD auf die Union zubewege, sei das Verhalten von Schmidt „ein Affront“, sagt Hendricks. „Einfach nur dämlich.“ Der Ministerkollege habe zwar „den Versuch unternommen“, sich bei ihr zu entschuldigen und sie wolle diesen Versuch auch nicht ewig zurückweisen. „Aber ich hab ihm gesagt, dass man so blöd eigentlich nicht sein könnte.“

    Vor allem aber betont Hendricks, dass die noch geschäftsführend im Amt befindliche Bundesregierung „eine vertrauensbildende Maßnahme“ brauche. Offenbleibt, was das genau sein könnte. Doch selbst wenn sich Merkel mindestens so wie Hendricks über Schmidt ärgert: Ihr bleibt kaum etwas anderes übrig, als Schmidt im Amt zu lassen. Weil er der CSU und damit einer anderen Partei angehört als Merkel, kann sie ihn nicht vor die Tür setzen. Und selbst wenn: Die Kanzlerin könnte keinen neuen Minister ernennen, denn sie und der Rest des Kabinetts sind nur noch geschäftsführend im Amt.

    Hat Merkel ihre Minister noch unter Kontrolle?

    Wie groß der politische Schaden ist, den Schmidt angerichtet hat, macht die Reaktion des Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, deutlich. Schneider spricht vom „Autoritätsverlust der Bundeskanzlerin“, der „greifbar“ geworden sei. Ihre Glaubwürdigkeit stehe infrage, weil unklar sei, ob sie ihre Minister noch unter Kontrolle habe. Und der Grünen-Abgeordnete Jürgen Trittin sagte unserer Redaktion: „Christian Schmidt hat sich in Kamikaze-Manier gleich doppelt falsch entschieden: Für die Geschäftsinteressen der Bayer AG gegen die Gesundheit der Menschen in Europa – und gegen das Grundgesetz“.

    Schmidt selbst versucht am Montagabend, die Krise mit einem Scherz zu lösen. „So isser, der Schmidt“, sagt er über sich selbst. Im ARD-„Morgenmagazin“ dann erklärt er, dass er allein entschieden habe: „Ich habe die Entscheidung für mich getroffen und in meiner Ressortverantwortung.“ Mit der Kanzlerin habe er sich nicht beraten. „Es gibt Dinge, die man auf die eigene Kappe nehmen muss.“

    Auch im EU-Parlament droht ein Nachspiel

    Ganz so einsam scheint die Entscheidung aber nicht gefallen zu sein: CSU-Chef Horst Seehofer soll vorab informiert gewesen sein, das berichtet jedenfalls die dpa, die sich auf Äußerungen Seehofers in der Sitzung des bayerischen Kabinetts am Dienstag beruft. Und einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge hatte das Landwirtschaftsministerium Schmidts Alleingang monatelang vorbereitet.

    Neben den Verwerfungen in Deutschland wird die Glyphosat-Zulassung wahrscheinlich auch ein Nachspiel in Brüssel haben. Im EU-Parlament wird der Ruf nach einer parlamentarischen Untersuchung des gesamten Verfahrens lauter. Der Grünen-Europa­abgeordnete Sven Giegold erklärt, ein Sonderausschuss zur Aufklärung der „fragwürdigen Entscheidungsvorgänge“ müsse jetzt kommen. Auch die Fraktion der Sozialdemokraten verlangt die Einsetzung eines Sonderausschusses, der unter anderem die Rolle des Saatgut-Konzerns Monsanto bei der Vorbereitung der Entscheidung untersuchen soll. Die EU-Kommission stellte am Dienstag klar, die Mitgliedstaaten seien weiter für die Zulassung auch von Glyphosat-basierten Produkten und deren Verwendungsbedingungen in ihrem Gebiet zuständig. Frankreich hat bereits angekündigt, Glyphosat nur noch für drei Jahre zuzulassen.