Berlin.

Alles wieder auf Anfang: Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen mit FDP und Grünen wenden sich CDU und CSU nun der SPD zu. Für Donnerstagabend hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Parteivorsitzenden Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz ins Schloss Bellevue geladen. Alle drei gehen angeschlagen in das Gespräch und können dankbar über die Vermittlung des Staatsoberhaupts sein.

Kanzlerin im Wartestand:
Angela Merkel

Die CDU-Vorsitzende trat am Montag ausnahmsweise selbst vor der Presse auf. Ihr Generalsekretär Peter Tauber ist krank und außerdem „sind es ja auch ganz besondere Zeiten“, wie Merkel es ausdrückte. In der Tat. Sie musste dem Parteivorstand berichten, warum die Jamaika-Verhandlungen unter ihrer Führung gescheitert sind, und warum sie über den Status der geschäftsführenden Kanzlerin derzeit nicht hinauskommt. Sie, die als gewiefte Verhandlerin gilt, hat es in vier Wochen nicht geschafft, eine Regierung auf die Beine zu stellen. Die Taktik, problematische Themen wie Migration und Steuern nicht zu Beginn der Sondierungen anzugehen, erwies sich als falsch. Nun ist Merkel auf die Bereitschaft der SPD angewiesen. Sie wolle diese Gespräche „ernsthaft, engagiert, redlich“ führen, sagte sie: „Es gibt jetzt ein Gesprächsangebot, das meinen wir ernst.“ Merkel setzt auf das Bündnis mit den Sozialdemokraten, will Neuwahlen verhindern. Auch eine Minderheitsregierung strebe sie nicht an, sagte sie laut Teilnehmerangaben der Vorstandssitzung, allerdings sei diese Option immer noch besser als erneut zu wählen.

Tatsächlich hat die 63 Jahre alte Kanzlerin nur Zeit gewonnen. Noch hält sich die innerparteiliche Kritik an der Chefin im Rahmen. Beim Parteitag ihres Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern am Wochenende griff sie ein Delegierter aber scharf an, unterstellte ihr reines Machtstreben und mangelnden Patriotismus. Er wurde ausgebuht. Was Merkel hilft: Hinter ihr drängt sich derzeit niemand als Nachfolger auf. Es gelang ihr auch, die Gräben zwischen CDU und CSU vorerst zuzuschütten. Mit ihrer Ankündigung, auch im Fall einer Neuwahl wieder zu kandidieren, hat sie Stärke demonstriert. Dennoch: Müsste die Partei sich neu aufstellen, wäre eine erneute Spitzenkandidatur Merkels mit Sicherheit nicht unumstritten. Auf die Frage, warum sie keinen Regierungspartner finde, antwortete Merkel am Montag: „Mir haben viele gesagt, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen konnten, dass so viele Parteien nicht regieren wollen.“ Noch kann sie die Verantwortung für die Hängepartie auf andere abwälzen.

Kapitän ohne Kompass:

SPD-Vorsitzender Martin Schulz

Der SPD-Chef ist angeschlagen: Seit Tagen kämpft Martin Schulz mit einer Erkältung. Als er nach der Sitzung des Parteivorstands am Montag vor die Kameras tritt, bewegt er sich langsamer als sonst. Auch politisch agiert Schulz sehr vorsichtig. Er hat aus dem Fehler gelernt, dass er vor einer Woche eine große Koalition kategorisch ausgeschlossen und eine Neuwahl favorisiert hatte. Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass vor allem SPD-Bundestagsabgeordnete sich eine Koalition mit der Union sehr wohl vorstellen können und eine Neuwahl ablehnen. Deshalb leitet Schulz nun die Operation Kehrtwende ein: Es werde Gespräche mit CDU und CSU geben, aber „keine Option ist vom Tisch“, versichert Schulz. Das könne auch zu „einer Konstellation“ führen, „die es bisher noch nicht gegeben hat“, wobei unklar bleibt, was er sich genau vorstellt. In jedem Fall sichert er jeden seiner Schritte maximal ab: Nach dem Gespräch am Donnerstag beim Bundespräsidenten tagt am Freitag noch einmal das Parteipräsidium. Dann soll auch der Parteitag in der nächsten Woche die grobe Richtung für die Gespräche vorgeben. Erst dann will Schulz beginnen, richtig mit der Union zu reden. Und egal, welche Form der Zusammenarbeit dann mit der Union herauskommt: Ganz am Ende bekommen die SPD-Mitglieder das Wort; an ihnen könnte ein möglicher Koalitionsvertrag mit CDU und CSU scheitern. Was Schulz selbst will und wohin er die Partei führen möchte, ist derzeit nicht erkennbar. Er betreibt zunächst Machtsicherung und will sich als Vorsitzender wiederwählen lassen. Das sollte klappen, denn die Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen stützen ihn.


Regierungschef im Erbfolgekrieg:
Horst Seehofer

Eines muss man Horst Seehofer lassen: Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef hat es in den vergangenen Tagen immer wieder geschafft, sich von einer Galgenfrist zur nächsten zu hangeln. Noch ist nicht klar, wie der Amtsinhaber sich seine politische Zukunft vorstellt, und ob er seine Ämter aufgibt. Doch die Zeit bis zum Parteitag am
15. Dezember läuft unerbittlich ab. Dort wird der CSU-Vorstand neu gewählt. Seehofer ließ in der vergangenen Woche zumindest eine Bereitschaft erkennen, mindestens eines seiner beiden Ämter abzugeben. Er versprach schließlich eine „befriedende“ Lösung – wissend, dass eine solche Lösung niemals möglich wäre, sollte er sich an beide Ämter klammern. Zu massiv waren in den vergangenen Wochen die Forderungen an ihn, einen geordneten, personellen Übergang zu ermöglichen. Und: Erstmals seit Langem hat er einen Schritt auf seinen Dauerrivalen, Finanzminister Markus Söder, zugetan. Die beiden CSU-Alphatiere trafen sich am Donnerstag zu einem vertraulichen Gespräch.

Eine große Koalition käme der CSU und auch Seehofer sehr zupass. Bereits nach der Bundestagswahl hatten etliche CSU-Politiker sehr schnell darauf gesetzt, dass die SPD trotz ihres Neins zur Fortsetzung der großen Koalition umfallen würde. Strategen der Partei sehen ein Bündnis mit der SPD im Bund als beste Ausgangslage für einen erfolgreichen eigenen Wahlkampf bei den bayerischen Landtagswahlen im Herbst 2018. Ein Bündnis mit den jahrelang bekämpften Grünen, so wurde argumentiert, wäre Wählern viel schwerer zu erklären gewesen – gerade mit Blick auf die in Bayern bei der Bundestagswahl starke AfD. Und für Seehofer böte sich die vielleicht die Option, möglicherweise als CSU-Vorsitzender in das Kabinett einer großen Koalition einzutreten. Es wäre für den 68 Jahre alten Ingolstädter ein gesichts-wahrender Kompromiss.