Berlin.

Noch prangt sein Name am Tor – Lent-Kaserne. Der Name passt allerdings nicht mehr in unsere Zeit, genauer gesagt: zum Entwurf eines neuen Traditionserlasses für die Bundeswehr. Seit einer Woche steht er intern zur Diskussion. In dem Papier wird verordnet, dass die Wehrmacht nicht „traditionsstiftend“ sein darf, ebenso wenig allein das „rein handwerkliche Können im Gefecht“. Helmut Lent war ein Pilot mit einer hohen Trefferquote. Nachts, wenn zumeist die Bomber der Briten und der Amerikaner kamen, bewahrte der Wehrmachtsflieger mit seinen Abschüssen die Zivilbevölkerung vor noch größeren Verlusten. Weshalb man ihn auch nach dem Zweiten Weltkrieg in guter Erinnerung behielt und vor Ort – in Rotenburg (Wümme) – bislang alle Versuche gescheitert sind, die Lent-Kaserne umzubenennen.

Der Wehrbeauftragte hat eine Reihe von Korrekturwünschen

Wenn ein Erlass praktische Konsequenzen hat, dann für die Benennung von Kasernen. Wenn in Rotenburg nicht umgedacht wird, dürften der Inspekteur des Heeres oder das Verteidigungsministerium eine Umbenennung anordnen. Darüber hinaus gibt der Erlass den Kommandeuren Handlungssicherheit. Für sie ist künftig eindeutiger und klarer geregelt, wo und wie sie die Ausstellung von Objekten aus der NS-Zeit erlauben können, nämlich nur in einem historischen Kontext gestellt. Politisch zieht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit dem ersten Traditionserlass seit 1982 einen Schlussstrich unter den Fall Franco A.

Im Frühjahr hatte der rechtsextreme Offizier für Schlagzeilen gesorgt. Er sitzt seither in Untersuchungshaft und wird verdächtigt, einen Anschlag geplant zu haben. Weil obendrein in seiner Kaserne im französischen Illkirch ein „Traditionszimmer“ mit Wehrmachtshelmen und Landser-Bildern entdeckt worden war, kam damals der Verdacht auf, dass die Wehrmacht an manchen Standorten unverändert als Vorbild verehrt wird. Die Ministerin selbst hatte ihrer eigenen Truppe ein „Haltungsproblem“ bescheinigt, später jedoch den Vorwurf differenziert. Doch die Unruhe in der Bundeswehr blieb.

Mit dem künftigen Erlass sollen sowohl die (Un)Kultur des Wegschauens als auch die Handlungsunsicherheit ein Ende haben. Sie war so groß, dass zwischenzeitlich in der Truppe sogar ein Porträt von Altkanzler Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform abgehängt worden war. Der Sozialdemokrat war am Aufbau der Bundeswehr entscheidend beteiligt, erst als Abgeordneter, später unmittelbar als Verteidigungsminister.

Nachfolgerin von der Leyen möchte, dass die Bundeswehr vermehrt aus ihrem eigenen, inzwischen immerhin 62 Jahre alten Fundus schöpft; dass sie auf ihre Geschichte stolz ist, aus ihr neue Vorbilder – Helden? – bezieht und auf sie schließlich Traditionen begründet. Auf die NS-Zeit soll sich die Truppe jedenfalls nur in Ausnahmefällen beziehen. Darunter fallen die Soldaten, die beim Aufbau der Bundeswehr halfen und über ihre frühere Rolle in der Wehrmacht selbstkritisch reflektiert haben, auch Schmidt. Und erst recht zählen dazu die Soldaten, die sich am Widerstand gegen Hitler beteiligt haben.

Der Entwurf ist eine Fortschreibung des früheren Erlasses, weshalb er an manchen Stellen auch nur sprachlich variiert klingt. Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) hält ihn prinzipiell für „eine gute Sache“. Wenn er etwas vermisse, „dann das Stichwort Europa, auch die Frauen und die Soldaten mit Migrationshintergrund kommen im Erlass nicht vor“, sagte er dieser Zeitung. Auch würde er empfehlen, „noch klarer zu begründen, warum die Wehrmacht nicht traditionsstiftend sein kann“. In dem neunseitigen Papier heißt es über die Wehrmacht, sie habe einem Unrechtsregime gedient und sei in dessen Verbrechen „schuldhaft verstrickt“ gewesen. Fast nahtlos geht der Entwurf dann zur Nationalen Volksarmee (NVA) über, also zu den Streitkräften der früheren DDR, die ebenfalls nicht traditionsstiftend sein könnten. Bartels findet es „ein bisschen unglücklich“, wie NVA und Wehrmacht nebeneinandergestellt werden. „Das passt historisch nicht“, bemängelte er.

Wichtig ist ihm, dass der Entwurf „breit in der Truppe diskutiert und dass der Verteidigungsausschuss einbezogen wird“. Es gebe keine Eile. Der Entwurf soll in allen Teilstreitkräften und in Gremien wie dem Personalrat debattiert werden. Von der Leyen sicherte zu, auch den Verteidigungsausschuss einzubeziehen. Ursprünglich wollte sie die Regierungsbildung abwarten. Da die Sondierungen gescheitert sind, ist die Verteidigungsministerin unsicher, wie viel Zeit sie sich nehmen soll. Sollte sie nicht warten, bis geklärt ist, ob sie überhaupt im Amt bleibt? Dass der Erlass noch in diesem Jahr in Kraft tritt, gilt denn auch als eher unwahrscheinlich.

Warum einige Kasernennamen auf den Prüfstand kommen

In Rotenburg können sie sich Zeit lassen und alternative Namen für die Lent-Kaserne prüfen. Es gibt nicht mehr allzu viele Kontroversen um Kasernennamen, und einige sind ohnehin ausgesprochen kompliziert zu klären. Wie geht man mit dem Namen Erwin Rommel um, mit dem berühmten Generalfeldmarschall und legendären „Wüstenfuchs“? Für die einen ist er ein Produkt der NS-Propaganda. Andere Historiker rücken ihn in die Nähe der Widerstandsgruppe und erinnern daran, dass er 1944 eine Teilkapitulation an der Westfront befürwortet hat. Anders als bei Lent ist es eher unwahrscheinlich, dass von der Leyen Druck machen wird, etwa die Rommel-Kaserne in Augustdorf umzubenennen. Denn der Traditionserlass soll auch gerade dafür Raum lassen – für offene Debatten.