Gießen/Berlin.

Die Worte, die Kristina Hänel in Schwierigkeiten gebracht haben, stehen noch immer auf ihrer Website: „Informationen zum Schwangerschaftsabbruch“, heißt es da in dunkelblauer Schrift auf weißem Grund. Darunter ein Feld, in dem man eine E-Mail-Adresse eintragen kann. Wer seine Adresse eingibt und auf „Absenden“ klickt, erhält kurz darauf ein zweiseitiges PDF-Dokument. Darin erklärt sind die rechtlichen Bedingungen für einen Abbruch, die möglichen Methoden, die Dokumente, die bereitgehalten werden sollten. Eine kleine Karte erklärt den Weg zur Praxis. Es sind diese Informationen, wegen denen Hänel am heutigen Freitag vor Gericht steht.

Hänel, 61, ist Allgemeinärztin in Gießen. Seit 1981 praktiziert sie. Fast ebenso lange führt sie auch Schwangerschaftsabbrüche durch. Doch ob sie darüber auch auf ihrer Website informieren darf, ist strittig.

Der Abbruch einer Schwangerschaft ist in Deutschland nach geltendem Recht gesetzeswidrig, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei. Seit der letzten Reform 1995 sind Abbrüche in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft möglich, wenn Frauen mindestens drei Tage zuvor eine „Schwangerschaftskonfliktberatung“ gemacht haben. Dennoch gibt es nach wie vor eine Regelung, der die Information über den Eingriff unter Strafe stellt. Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“, verbietet unter Androhung von bis zu zwei Jahren Gefängnisstrafe das öffentliche Anbieten von Schwangerschaftsabbrüchen des „Vermögensvorteils wegen“. „Man hat bei den Reformen des Paragrafen 218 in den 1990er-Jahren einfach nicht daran gedacht, dass auch 219a korrigiert werden muss“, sagt Monika Frommel, die Hänel vor Gericht vertritt.

In der Öffentlichkeit ist die Regelung wenig bekannt. Doch Abtreibungsgegner wissen um das Gesetz – und machen davon Gebrauch. Einer der bekanntesten Abtreibungsgegner Deutschlands ist Klaus Günter Annen, Gründer der Initiative „Nie wieder“ und Betreiber der Website „babykaust.de“. Annen erstatte bis zu 27 Anzeigen gegen Ärzte pro Jahr, sagt Frommel. „Das ist sein Lebensinhalt.“ Auch Hänel ist in der Vergangenheit bereits von Annen angezeigt worden. Er und andere nutzten den Paragrafen, um Ärzte „einzuschüchtern“, erklärt Davina Höblich, Bundesvorsitzende von Pro Familia.

Zur Anklage kommt es nur selten, in den meisten Fällen werden die Ermittlungen eingestellt – auch, weil die Ärzte entsprechende Passagen im Zweifel lieber freiwillig von ihren Seiten löschen. Wenn Mediziner angezeigt werden, „nehmen viele Ärzte und Praxen aus Angst vor Strafverfolgung sachliche Informationen von ihren Webseiten herunter“, erklärt Höblich.

In der Konsequenz ist für Frauen und Paare, die Informationen über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs in ihrer Nähe suchen, online nur wenig dazu zu finden. Einen bundesweiten Überblick bietet eine Seite aus Österreich – und „babykaust.de“. Die Website von Annen vergleicht Abbrüche mit dem Holocaust und listet Ärzte auf, die Abbrüche durchführen. Die Seite, auf der Mediziner an den Pranger gestellt werden sollen, ist eine der umfassendsten Ressourcen zum Thema.

Das will Hänel ändern. Sie will, dass Frauen online sachliche Informationen finden. „Mir geht es nicht um mich“, sagt die Ärztin. „Ich bin 61, egal wie die Sache ausgeht, wird sie mein Leben nicht mehr entscheidend berühren. Aber wenn ich jetzt etwas ändern kann für Frauen, dann will ich das tun.“ Sollte Hänel verurteilt werden, wollen sie und ihre Anwältin Frommel gegen die Entscheidung vorgehen. „Wir legen Revision ein, gegebenenfalls auch Verfassungsbeschwerde und ziehen – wenn es sein muss – vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“, erklärt Frommel. Sollte Hänel nicht verurteilt werden, gebe es immerhin eine klare Rechtsprechung. „Wie kann ein solches Gesetz im Jahr 2017 immer noch Geltung beanspruchen?“

Das fragen sich auch andere. Eine Petition zur Unterstützung Hänels auf change.org haben innerhalb weniger Wochen rund 96.000 Menschen unterschrieben, Ärzte haben sich solidarisch erklärt. Am Freitag haben Unterstützer Demonstrationen in Frankfurt und Gießen angekündigt. Und auch die Politik mischt sich ein: Die Bundestagsfraktion der Linken spricht sich für eine ersatzlose Streichung des Paragrafen aus. Das Gesetz kriminalisiere Ärzte und schränke Frauen in ihrer Selbstbestimmung ein, sagt Cornelia Möhring, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion.

Die SPD-Fraktion hat angekündigt, „schnell“ die Initiative ergreifen zu wollen. „Der Prozess zeigt, dass offenkundig Rechtsunsicherheit besteht“, erklärte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Eva Högl. „Das bedeutet, dass wir als Gesetzgeber in jedem Fall Handlungsbedarf haben.“

Elisabeth Winkelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der Unions-Fraktion zeigt sich vorsichtiger. Bei einer Abschaffung oder Änderung des Tatbestandes hätte sie Sorge, dass ein Schwangerschaftsabbruch verharmlost werden könnte. Ob aber schon die sachliche Information den Tatbestand der Werbung erfülle, darüber könne man sicher streiten.