Berlin.

Die Stimmung ist gereizt, die Geduld ist aufgebraucht. Zwar beteuern alle, wie ernst sie es meinen, wie groß die Verantwortung ist. Doch im Laufe dieses Sonntags wächst der Eindruck, dass aus Verhandlungspartnern längst wieder Gegner geworden sind. Vor allem die FDP erhöht den Druck auf die Grünen, indem sie sich in der Flüchtlingspolitik klar auf die Seite von CDU und CSU schlägt. Schließlich sind es die Liberalen, die kurz vor Mitternacht geschlossen vor die Kameras treten und sagen: Schluss. Aus. Die FDP lässt die Sondierungen für das erste Jamaika-Bündnis auf Bundesebene platzen. „Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren“, sagt Parteichef Christian Lindner.

Nach vier zähen Sondierungswochen sind die Unterhändler der vier Parteien am Morgen in der baden-württembergischen Landesvertretung zusammengekommen, um zu entscheiden, ob es für ein Bündnis reicht. Doch schnell ist klar: Die Fronten sind verhärtet und die Chancen stehen bis zum späten Abend 50:50, dass an diesem Volkstrauertag auch der Traum von Jamaika beerdigt wird.

Sie seien „bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus gegangen“, beklagt Grünen-Chef Cem Özdemir bereits am Sonntagmorgen. Er meint die Kompromissangebote seiner Partei beim Klima und in der Flüchtlingspolitik. Auf der anderen Seite, bei CSU und Liberalen, gibt es dagegen viele, die den Grünen Unberechenbarkeit und faule Kompromisse vorwerfen.

Vor allem die Liberalen betreiben schon früh an diesem Tag die offene Eskalation: Als die Runde gegen Mittag wieder einmal beim Thema Finanzen angekommen ist, platzt Christian Lindner der Kragen: Der FDP-Chef stürmt aus dem Saal. „Keine Vertrauensbasis“, schimpft er. Ursache dieses Ausbruchs ist der Grüne Jürgen Trittin. Er soll frühere Einigungen in Finanzfragen wieder in Frage gestellt haben. Trittin dagegen hatte via Interview mit der „Bild am Sonntag“ pauschal erklärt, die Differenzen zwischen den Jamaika-Parteien seien zuletzt fast größer geworden.

Es ist ein Krach mit Ansage. Die Liberalen beklagen seit Tagen, dass Trittin die Verhandlungen blockiere – und genauso lange deuten sie an, was deswegen passieren werde: Dass einer von ihnen vom Tisch aufsteht und geht. Vorerst nicht endgültig. Aber sichtbar. Ein Manöver, das am Ende auch dazu dient, im Fall des Scheiterns den Schuldigen zu benennen. Motto: Die Grünen waren’s – nicht wir. „Der schießt das ab. So kann man nicht arbeiten“, orakelt vorsorglich ein FDP-Mann mit Blick auf Trittin.

Die CDU dagegen setzt an diesem Sonntag auch weiterhin viel daran, Jamaika noch zu retten. Immerhin haben die Sondierer in den vergangenen Wochen manchen Streitpunkt ausgeräumt und etwa in den Bereichen Bildung und Digitalisierung, Familienförderung und Agrarpolitik Einigungen erzielt. Doch vor allem bei der Frage, ob und wie Deutschland den Zuzug von Flüchtlingen begrenzen soll, gibt es keine Lösung.

Am frühen Sonntagnachmittag sitzen die Chefunterhändler wieder in kleiner Runde im Kaminzimmer zusammen, es heißt, sie wollten sich auf zehn wichtige Punkte konzentrieren, doch es geht offenbar längst auch um die persönliche Ebene, um Fragen von Stil, Tonlage und Vertrauen. Kurz: Die Chefs müssen klären, ob es überhaupt Sinn macht, weiterzureden. „Spitz auf Knopf ist keine Übertreibung“, heißt es in einer SMS aus der Verhandlungsrunde. Gegen 16.30 Uhr sind die Beratungen der Chef-Verhandler beendet – jetzt müssen sie die Ergebnisse ihren Parteien unterbreiten. Die heiße Phase des Abends beginnt, die ersten ziehen die Jacketts aus.

Eine Stunde später heißt es bei der FDP: Die parteiinternen Gespräche seien beendet, man warte jetzt, ob die Bedingungen, die die Liberalen gestellt hatten, von den anderen Parteien akzeptiert werden – etwa die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und das Nein zu Lockerungen beim Familiennachzug für Flüchtlinge. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist klar: Die Liberalen sind auf den letzten Metern zum eigentlichen Antreiber und Hardliner der Sondierungen geworden. Und diejenigen, die sie schließlich beenden.