Bonn. Kanzlerin Angela Merkel sieht auf dem UN-Gipfel Lücken bei den Klimazielen. Den Ausstieg aus der Kohle verkündet sie nicht. Die Kritik der Umweltverbände ist verheerend

Kohle oder Klimaschutz? Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Plenum des UN-Klimagipfels in Bonn ans Mikrofon tritt, verstummt es – dieses Grundrauschen der riesigen Konferenz, das Stimmengewirr in den Räumen rund um den Saal. Eineinhalb Wochen Textarbeit am Regelwerk des Pariser Weltklimavertrags liegen hinter den Delegationen aus 195 Staaten. Nun wollen sie es wissen, wollen es von ihr hören: Hat Deutschland einen Plan, damit es seine versprochenen Klimaziele doch noch erreichen kann? Mehr noch: Wird die neue Bundesregierung einen haben, wo doch die Jamaika-Parteien in Berlin immer noch darüber streiten, Kohlekraftwerke abzuschalten? Stille. Kanzlerin Merkel beginnt.

Stunden zuvor schien es, als kehre die Weltpolitik ins ehemalige Regierungsviertel am Rhein zurück. Hubschrauber kreisten um das frühere Bundestagsgebäude, gepanzerte schwarze Limousinen rauschten durch die Straßen des Bundesviertels, Polizisten sperrten das riesige Gelände des UN-Klimagipfels im weiteren Umkreis ab: Tag der Regierungschefs und Minister, der Endspurt der UN-Konferenz.

Es ist ein ganz besondere Rede für Angela Merkel, die sich erklären muss. 1995 war sie als Umweltministerin Gastgeberin der ersten UN-Klimakonferenz in Berlin. 2015 ebnete sie dem Abkommen von Paris den Weg und versprach seitdem immer wieder, das Deutschland seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten werde. Doch um das Ziel zu erreichen, muss Deutschland in den kommenden beiden Jahren nach UN-Berechnungen noch 95 bis 125 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Ohne Kohleausstieg gehe das nicht, trommeln Umweltverbände. Es ist die Frage, die den Bonner Gipfel beherrscht: Was macht Deutschland mit der Kohle?

Emmanuel Macron springt für Deutschland ein

Die Kanzlerin verkündet den Ausstieg nicht. Merkel spricht, wie zuvor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, von der „zentralen Herausforderung“, die der Klimawandel für die Menschheit darstelle, und von einer Schicksalsfrage. Merkel bekräftigt den Klimaschutzbeitrag der EU, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent zu reduzieren. Sie betont zudem das langfristige Ziel Deutschlands, bis Mitte des Jahrhunderts nahezu CO2-neutral zu sein. Doch dann gesteht die Kanzlerin die Lücke zum deutschen Klimaziel von 2020 ein: „Es fehlt ein ganzes Stück.“

Merkel erinnert daran, dass die von allen UN-Staaten versprochenen Maßnahmen insgesamt nicht ausreichten, um die Ziele von Paris zu erfüllen. Dazu bedürfe es zusätzlicher Anstrengungen. Dann blickt sie in den Saal und sagt es: „Ich will ganz offen sprechen, das ist auch in Deutschland nicht ganz einfach.“

Deutschland werde sich mühen, verspricht sie. Und: Insbesondere die Braunkohle müsse „einen wesentlichen Beitrag“ leisten. Gemeint sind die Tagebaue in der Lausitz und im Rheinischen Revier. „Wie genau, das werden wir in den nächsten Tagen miteinander ganz präzise diskutieren müssen“, sagt sie mit Blick auf die Jamaika-Sondierungen. „Es geht dabei auch um soziale Fragen und Arbeitsplätze sowie um die Bezahlbarkeit von Energie.“ Darüber gebe es in der Gesellschaft erhebliche Konflikte. Merkel blickt direkt in die Kameras, als sie sagt: „Und die müssen wir lösen, vernünftig lösen, verlässlich lösen.“

Der Applaus der UN-Delegierten fällt verhalten aus, die Kommentare der Umweltverbände sind verheerend. „Mit ihrem Schweigen zur Schicksalsfrage der deutschen Klimapolitik verspielt die Kanzlerin auch den letzten Rest ihres alten Klimaruhms“, sagt Greenpeace-Geschäftsführerin Sweelin Heuß. Von einer verpassten Chance und einem fatalen Signal spricht Michael Schäfer, Klimaexperte von WWF-Deutschland: „Wir wollen und müssen Taten sehen.“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war es, der für das schwächelnde Deutschland einsprang und die Führungsrolle Europas erneuerte. Er forderte die EU-Staaten auf, die von den USA aufgerissene Lücke bei der Finanzierung von Klimaforschung aufzufüllen. Der Weltklimarat IPCC sei bedroht, da die USA entschieden hätten, nicht mehr für seine Finanzierung zu garantieren. „Daher schlage ich vor, dass Europa Amerika ersetzt“, rief Macron
in das Plenum – und erhielt dafür Beifall.

In Bonn brechen nun die entscheidenden letzten Tage an – das gilt auch für die Jamaika-Sondierungsgespräche, als hätte es jemand so inszeniert. Zumindest in Bonn geht es voran. So scheint es, als ob der Bonner Gipfel pünktlich am Freitagabend enden könnte. Erste Textentwürfe lägen vor, hieß es am Mittwoch aus Delegationskreisen. Nach Einschätzung von Beobachtern gibt es jedoch noch einige Knackpunkte, die eine Vermittlung von Ministern notwendig machen könnte. Bei den Textentwürfen zu den einzelnen Kapiteln eines Regelbuchs des Pariser Klimavertrags – also den praktischen Handlungsanleitungen – sind einige Abschnitte noch viel zu lang und zu unübersichtlich, sagt Jan Kowalzig, Klimaexperte der Organisation Oxfam. Das Thema Emissionseinsparungen etwa sei auf 180 Seiten angewachsen, hieß es – zu viel, um damit beim nächsten UN-Klimagipfel in Polen weiterzumachen.

Wie schlecht es um die Zahlungsmoral im Klimaschutz tatsächlich bestellt ist, zeigt der Zustand des Grünen Klimafonds GCF, das finanzstärkste Instrument des internationalen Klimaschutzes. Bis 2020 sollen jährlich 100 Milliarden Dollar in den Topf fließen, gezahlt überwiegend von den Industrieländern. Aktuell kommen gerade einmal zehn Milliarden Dollar pro Jahr zusammen. Das Geld klemmt, heißt es in UN-Kreisen. In Bonn und Berlin dürften die Tage noch lang werden.