Colmar.

Es sind lange Minuten, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Frankreichs Staatsoberhaupt Emmanuel Macron gestern Nachmittag Seite an Seite und schweigend in der unterirdischen Krypta auf dem Hartmannsweilerkopf unweit des elsässischen Colmars verharren, wo die Gebeine von mehr als 12.000 der insgesamt 30.000 auf diesem Berg gefallenen Soldaten beider Nationen ruhen. Jeder Quadratmeter Boden ist hier, wo die beiden Staatsoberhäupter kurz darauf zur feierlichen Einweihung der ersten und einzigen deutsch-französischen Gedenkstätte des Ersten Weltkriegs schreiten, von Blut getränkt.

„Menschenfresser“ oder „Todesberg“ haben die Elsässer den 956 Meter hohen, zwischen 1914 und 1916 erbittert umkämpften Vogesengipfel getauft. Weihnachten 1914 besetzten 28 französische Alpenjäger im damals zum Deutschen Kaiserreich gehörenden Elsass den Gipfel des Hartmannsweilerkopfs und errichteten eine kleine Festung. Nur 300 Meter weiter östlich bezog wenige Tage später eine deutsche Vorhut Stellung. Scharmützel zwischen den beiden Vorposten forderten am 30. Dezember 1914 den ersten Kriegstoten auf dem Berg. Sofort verstärkten die Deutschen ihre Kompanie, nun sollte der Hartmannsweilerkopf in einem Sturmangriff erobert werden. Doch die französische Besatzung wehrte den Angriff ab und wurde daraufhin ihrerseits verstärkt.

Auch deutsche Regimenter werden nun aufgelistet

Nun begann, was für das Geschehen im Ersten Weltkrieg charakteristisch war: Beide Parteien krallten sich fest und bauten ihre Stellungen aus. Im Frühjahr 1915 gelang es den deutschen Angreifern, die französische Gipfelfeste zu zerstören. Doch das war nicht das Ende der Kämpfe, sondern erst ihr Auftakt. Die Soldaten graben, mauern, bauen Bunker und legen Netze von Schützengräben an, die stellenweise kaum 20 Meter voneinander entfernt sind.

Bis in den Sommer 1916 hinein lancierten entweder Deutsche oder Franzosen am Hartmannsweilerkopf immer wieder blutige Offensiven und Gegenoffensiven. Jede erfolgte mit noch größerer Feuerkraft und mit noch höheren Opfern als die vorherige, ohne dass eine Seite einen Durchbruch erzielen konnte. Wie in Verdun oder an der Somme offenbarte die Schlacht das ganze Elend des Stellungskrieges.

Das verlustreiche Wüten am Todesberg endete ohne Sieger. Und bis heute gibt es keine stichhaltige Antwort auf die Frage, warum hier Zehntausende von Soldaten fallen mussten. Die Legende, der zufolge die französische Militärführung den Berg einnehmen wollte, um von dort aus mit ihrer Artillerie die Eisenbahn- sowie Straßenverbindungen zwischen Mülhausen und Colmar zu zerstören, haben Historiker längst zerpflückt: Die Verkehrslinien im Tal lagen außerhalb der Reichweite damaliger Kanonen.

Wie kaum ein anderer Ort symbolisiere der Hartmannsweilerkopf „den Irrsinn des Krieges“, hob Steinmeier vor den als Gäste geladenen Soldaten der deutsch-französischen Brigade sowie vor Kriegsveteranen, Politikern und Jugendlichen aus beiden Ländern hervor: „Doch wir wissen, dass nicht dieser Berg der Menschenfresser war, sondern der Nationalismus. Es war der Irrglaube an die Überlegenheit der eigenen Nation über andere Nationen, für den Millionen junger Männer in den Krieg zogen und darin umkamen.“

Macron seinerseits betonte, dass „Europa es geschafft hat, den Krieg zu besiegen“. Insbesondere die Aussöhnung zwischen den beiden Erbfeinden Deutschland und Frankreich sei eine Botschaft für alle, an Europa und an die Zukunft Europas zu glauben – eine Zukunft, für welche die Franzosen und die Deutschen gerade aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte eine besondere Verantwortung trügen.

Auch Steinmeier warb dafür, „dieses Europa“, das den Nationalismus überwunden habe, „in eine hoffnungsvolle und bessere Zukunft zu führen“. An Macron gewandt – und auf dessen Reformvorschläge für die EU anspielend, die er an der Pariser Sorbonne vorgestellt hatte – erklärte der Bundespräsident: „Ich stehe, wie die große Mehrheit meiner Landsleute, an Ihrer Seite. Ihren Schwung spüren wir auch in Berlin. Und ich bin sicher: Wir werden ihn mit Elan aufnehmen.“

Der Hartmannsweilerkopf wurde von Paris bereits 1921 zur nationalen Gedenkstätte erhoben. Elf Jahre später ließ die Regierung unterhalb des Gipfels einen „vaterländischen Altar“ errichten und eine Krypta anlegen, in der die Gebeine von 12.000 Gefallenen ruhen. Am 3. August 2014, auf den Tag genau 100 Jahre nach der Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Frankreich, besuchte Bundespräsident Joachim Gauck den „Todesberg“. Er folgte damals der Einladung von Präsident François Hollande, um den Grundstein für das gestern von ihren Nachfolgern eingeweihte „Historial“ zu legen. Finanziert wurde das 4,7 Millionen Euro teure Projekt mit Geldern aus Frankreich und Deutschland, Zuschüssen der EU sowie privaten Spenden

Die Eröffnung des aus einem Museum und einem animierten Lehrpfad über das Schlachtfeld bestehenden Historials ist gleichzeitig die Umwidmung der nationalen in eine binationale Gedenkstätte. Dazu gehört, dass im Eingangsbereich der Krypta nun auch die deutschen Regimenter genannt werden, die auf dem „Todesberg“ gekämpft haben. Bislang waren dort nur die Namen der französischen Einheiten zu lesen. Besonders bemerkenswert ist, dass diese hochsymbolische Geste links des Rheins keine einzige Stimme des Protests laut werden ließ.