Berlin. Eine OECD-Studie bescheinigt Deutschland viele schlechte Angewohnheiten, aber ein überwiegend gut funktionierendes Gesundheitssystem

Mehr Essen, mehr Alkohol, mehr Tabak: Im Vergleich mit den Menschen in anderen OECD-Ländern lassen es sich die Deutschen überdurchschnittlich gut gehen, was Genussmittel betrifft. Das hat Konsequenzen für die Gesundheit, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jetzt herausgefunden hat: Laut einer am Freitag vorgestellten Studie der Organisation zur Gesundheit der Bevölkerung und der medizinischen Versorgung in den Mitgliedsländern liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland nur knapp über dem Schnitt der OECD-Staaten. Und das, obwohl die Bundesrepublik enorm viel für ihr Gesundheitssystem ausgibt: Mit 11,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag Deutschland 2016 nur hinter den USA und der Schweiz auf Platz drei.

Kinder, die 2015 in Deutschland geboren wurden, haben laut der Untersuchung eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80,7 Jahren. Das sind rund zehn Jahre mehr, als jene erwarten können, die 1970 zur Welt gekommen sind – aber es ist auch weniger als bei Gleichaltrigen aus 24 anderen OECD-Ländern. So haben Babys, die 2015 in Japan geboren wurden, gute Chancen, mehr als drei Jahre älter zu werden als ihre deutschen Altersgenossen. Auch bei der Lebenserwartung jener, die 1970 geboren sind, liegt Deutschland nur im Mittelfeld.

Mehr Alkohol im Jahrals Briten und Russen

Näher an der Spitze stehen die Deutschen dagegen bei gesundheitsschädlichen Angewohnheiten: So trinken Deutsche, die älter sind als 15 Jahre, durchschnittlich elf Liter reinen Alkohol im Jahr und damit mehr als zum Beispiel Iren, Russen und Briten. Der Schnitt der OECD-Länder liegt hier bei neun Litern pro Jahr.

Auch der Tabakkonsum ist in Deutschland noch immer weit verbreitet: 20,9 Prozent der über 15-Jährigen rauchen täglich, im OECD-Durchschnitt sind es 18,4 Prozent. Zwar ist der Anteil der Raucher – wie in allen OECD-Staaten außer Indonesien – in den vergangenen 15 Jahren gesunken. Doch trotz aller Bemühungen von Politik, Krankenkassen und Verbänden, über die Gesundheitsrisiken von Tabak aufzuklären, rauchten 2015 nur rund fünf Prozent weniger Menschen als 2000.

Der größte Risikofaktor, der sich aus dem Lebensstil ergibt, ist in Deutschland allerdings das Übergewicht: Sechs von zehn über 15-Jährigen sind nach der Definition des OECD übergewichtig. Fast 40 Prozent dieser Gruppe gelten sogar als fettleibig.

Krankenkassen sehen Gewichtszunahme mit Sorge

Die Gewichtsentwicklung der Deutschen bereitet vor allem den Krankenkassen Sorgen. „Übergewicht ist ein entscheidender Risikofaktor für Diabetes, Bluthochdruck und Kreislauferkrankungen“, sagte Kai Behrens, Pressesprecher des AOK-Bundesverbandes. Die Zahl der übergewichtigen Patienten nehme tendenziell zu, und eine Trendwende schaffe das Gesundheitssystem, „so gut es in Deutschland auch ist“, nicht alleine, erklärt Behrens.

Deswegen müsse zum Beispiel das Wissen in der Bevölkerung über den Inhalt von Nahrungsmitteln gestärkt werden. Die AOK fordert daher mehr Transparenz über den Inhalt von Lebensmitteln. Bei Vorschlägen wie der Lebensmittelampel sei die Politik aber „bislang leider vor der Lebensmittelindustrie eingeknickt“.

Wer durch übermäßigen Tabak- oder Alkoholkonsum oder als Folge falscher Ernährung krank geworden ist, kann sich in Deutschland laut OECD aber auf ein funktionierendes System verlassen. Den Zugang zu Leistungen, Wartezeiten, Verfügbarkeit von Infrastruktur und Personal und Wahlmöglichkeiten für Patienten bewertet die Organisation als gut. Michael Müller, Analyst für Gesundheitspolitik bei der OECD, sieht allerdings Luft nach oben in der Verwendung des Geldes, das ins Gesundheitssystem fließt: „Internationale Studien zeigen, dass rund 20 Prozent der Ausgaben überflüssig sind – das heißt, dass diesen eingesetzten Mitteln kein relevanter Mehrwert gegenübersteht.“ In Deutschland geben allein die gesetzlichen Krankenversicherungen derzeit rund 230 Milliarden Euro im Jahr aus.

Diese Ressourcen könnten effizienter eingesetzt werden, sagt der OECD-Experte. So werden hier viele Eingriffe stationär erledigt, die in anderen Ländern hauptsächlich ambulant gemacht werden. Während in Deutschland nur 3,7 Prozent aller Mandelentfernungen ambulant durchgeführt werden, ist der Anteil bei diesen Eingriffen in Finnland in den vergangenen Jahren auf 86,3 Prozent gestiegen.

Insgesamt rät die Organisation dazu, die Zahl der Krankenhausbetten zu reduzieren. Denn wo viel medizinische Infrastruktur vorhanden ist, so die OECD-Analysten, wird sie von den Menschen auch genutzt.