Athen . Flüchtlinge in Athen verlangen ihr Recht auf Familienzusammenführung. Innenminister de Maizière forderte Griechenland in einem Brief zu Verzögerungen auf

Seit neun Tagen haust Vara in einem Campingzelt am Athener Syntagmaplatz, gleich gegenüber vom Parlamentsgebäude. Die 32-jährige Syrerin ist nach eigenen Angaben im Hungerstreik, nimmt nur Wasser und Säfte zu sich. Mit der Aktion wollen Vara und 13 weitere syrische Flüchtlinge, sieben Männer und sechs Frauen, auf ihr Schicksal aufmerksam machen.

„Mein Mann lebt seit 15 Monaten in Deutschland und hat dort Asyl“, erzählt Vara über einen Dolmetscher. Vor mehr als einem Jahr habe sie bereits den Bescheid bekommen, dass sie mit ihrem Sohn Enis nach Deutschland weiterreisen darf, sagt die Frau. Aber immer wieder verzögere sich die Reise: „Man vertröstet uns.“ Vara, der Name bedeute so viel wie Mut, Kraft, sagt die Syrerin, Mut habe sie, aber mit ihrer Kraft sei sie nach dem mehr als einjährigen Warten im Container eines Flüchtlingslagers bei Athen allmählich am Ende. „Wir wollen doch nur zu meinem Vater“, sagt der zwölfjährige Enis.

Wie Vara und ihrem Sohn geht es Tausenden Kriegsflüchtlingen in Griechenland. Die Dublin-Vereinbarung über die Asylverfahren in der Europäischen Union sieht vor, dass Flüchtlingsfamilien innerhalb von sechs Monaten zusammengeführt werden sollen. Aber in Griechenland warten geschätzt mehr als 4000 Flüchtlinge auf den Nachzug nach Deutschland, manche seit zwei Jahren. Nach inoffiziellen Angaben aus griechischen Behördenkreisen werden derzeit etwa 200 Menschen pro Monat im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland geflogen. Wenn es bei diesem Tempo bleibt, wird es noch fast zwei Jahre dauern, bis alle Familien vereint sind.

Am Mittwoch versammelten sich etwa 150 Flüchtlinge und griechische Unterstützer vor der Deutschen Botschaft in Athen, um gegen die schleppende Familienzusammenführung zu protestieren. Sie riefen Sprechchöre wie „Mama Merkel, mach das Tor auf!“ und „Deutschland, Deutschland“.

Auch vor dem Bundesinnenministerium in Berlin gab es eine ähnliche Demonstration. Dort weist man den Vorwurf zurück, Deutschland verzögere den Nachzug. Nach Angaben des Ministeriums kamen in den ersten neun Monaten dieses Jahres 1921 Menschen im Rahmen der Familienzusammenführung aus Griechenland nach Deutschland. Allerdings geht aus einem Brief des griechischen Migrationsministers Giannis Mouzalas hervor, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Griechenland dazu angehalten habe, die Familienzusammenführung „zurückzufahren“. Der Brief war an griechische Medien gelangt, Mouzalas bestätigte seine Echtheit.

„Wir wollen zur Schule gehen“ steht auf Englisch und Arabisch auf einem Plakat, das Flüchtlingskinder am Syntagmaplatz aufgespannt haben. Ein anderes bemaltes Pappschild zeigt eine überdimensionale Bordkarte für den Flug von Athen nach Frankfurt. „Boarding Pass now!“ steht darauf. Vara und ihr Sohn Enis hoffen, dass sie bald eine richtige Bordkarte in Händen halten. „Vorher breche ich den Hungerstreik nicht ab“, sagt die Syrerin.

Laut Amnesty International leben momentan in Griechenland insgesamt rund 60.000 Flüchtlinge unter schwersten Bedingungen. Die Umsiedlung in andere europäische Länder komme nur sehr langsam voran, während die Gesundheitsversorgung schlecht sei und die Sicherheit der Menschen kaum gewährleistet werde, kritisiert die Menschenrechtsorganisation. Vor allem wegen des anbrechenden Winters schlagen Hilfsorganisationen Alarm.

Von Januar 2015 bis Ende September 2017 wurden nach Angaben des Auswärtigen Amts weltweit rund 265.400 Anträge auf Familienzusammenführung über das Visumsverfahren genehmigt: 2016 rund 103.800 und im Jahr davor mehr als 72.600 Anträge. In diesem Jahr wurden bis Ende September 89.000 Visa erteilt. 2015 waren darunter mehr als 100.000 Visa für Syrer und Iraker. Derzeit liegen bei den Auslandsvertretungen laut Außenministerium rund 70.000 Terminbuchungen von Menschen vor, die legal zu syrischen und irakischen Familienangehörigen in Deutschland nachreisen wollen. Darin enthalten sind auch Anfragen zum Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten.