Berlin.

Das Projekt nennt sich Pesco und könnte für das Militär der EU einmal so bedeutend werden, wie der Euro für die Wirtschaft. Ein verlegbares Hospital, eine Logistik-Drehscheibe, gemeinsame Offiziersausbildung – das sind nur drei von 47 Projektvorschlägen. Im Juli, August waren es nur etwa sieben, damals kamen sie alle von der Bundeswehr. Im Herbst aber nahm der Plan einer ständigen strukturierten Kooperation („Permanent Structure Cooperation“, kurz: Pesco) dann Fahrt auf. Und wenn der Außen- und Verteidigungsministerrat der EU am Montag Pesco beschließt, dann sind vermutlich 20 der 28 Mitglieder dabei, womöglich noch mehr. Schon einen Monat später, am 11. Dezember, sollen sie ihre ersten Projekte beschließen. „Das wird was“, heißt es in Regierungskreisen in Berlin.

Für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist es auch ein Statement in eigener Sache. Sie will ihre bisherige Aufgabe fortführen und setzt auf Europa. Sie hält Pesco für eine „große Chance“, unabhängig davon, wie die nächste Bundesregierung aussieht. In wenigen Bereichen laufen die Gespräche von Union, Grünen und FDP so geräuschlos wie in der Sicherheitspolitik. Das liegt auch an der Ministerin.

Trump war ungewollt der Geburtshelfer bei Pesco

Von der Leyen hat sogar ihren Frieden mit einer Frau gemacht, mit der sie sich vier Jahre lang beharkt hat: mit der Grünen-Verhandlungsführerin Agnieszka Brugger. Jetzt heißt es im Umfeld der Ministerin anerkennend: „Brugger ist eine Fachfrau.“ Für viele Konfliktfelder gibt es längst Friedensangebote.

Beispiel bewaffnete Drohnen: Erwogen wird, bewaffnungsfähige unbemannte Flugkörper zu kaufen – und die Waffen später anzuschaffen. Die Themen werden getrennt, der eigentliche Konflikt (Waffen) vertagt. Beispiel Auslandseinsätze: Über ihre Verlängerung soll die Bundesregierung im Konsens entscheiden; eine Vorabfestlegung in einem Koalitionsvertrag könnte vermieden werden, so der Plan. Beispiel Anstieg der Militärausgaben auf zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung: Die Reizziffer ist nicht zwingend. Entscheidend ist die Richtung – der kontinuierliche Anstieg des Verteidigungsetats. Die Nato hat diese Selbstverpflichtung als Ziel auch erst für 2024 ausgegeben. Mit der Frage, ob es erreicht oder verfehlt wird, wird sich erst die übernächste Regierung befassen. Aus der FDP gibt es den Vorschlag, die Ausgaben für militärische und zivile Lösungen auf drei Prozent zu erhöhen und die Entwicklungshilfe einzubeziehen. Das käme den Grünen entgegen. Schon twitterte deren Europapolitiker Reinhard Bütikofer, ihm scheine es, an der Außen- und Verteidigungspolitik werde „Jamaika“ nicht scheitern. Pesco wäre sinnstiftend für die Verteidigungspolitiker der ungleichen Partner. Für Europa sind alle, von der CSU bis zu den Grünen. Für die FDP sitzt am Verhandlungstisch ihr wichtigster EU-Abgeordneter: Alexander Graf Lambsdorff.

Im Sommer, während des Wahlkampfs, hatte sich von der Leyen Projektvorschläge für Pesco ausarbeiten und sich am 18. Oktober vom Kabinett grünes Licht für eine deutsche Beteiligung geben lassen. Dass die gebürtige Brüsselerin von der Leyen sich verstärkt um Europa kümmern will, erklärt ihr EU-Referatsleiter, Oberst Helmut Frietzsche, anhand eines Rechenbeispiels: „Die Europäer geben ein Drittel von dem für Verteidigung aus, was die USA dafür bezahlen. Allerdings haben wir nur zehn bis 15 Prozent der amerikanischen Fähigkeiten.“ Viel Geld ausgeben, wenig dafür kriegen – genau das soll sich künftig mit Pesco ändern.

Es geht darum, dass die Europäer effizienter, handlungsfähiger, schneller werden. Als die Ebola-Krise ausbrach, waren die europäischen Militärs unfähig, koordiniert zu handeln; ihnen fehlten die Strukturen dafür. Als Mali von Terrorgruppen destabilisiert wurde, waren es die Franzosen, die beherzt eingriffen. Frankreich, das fast 50 Jahre lang eine europäische Verteidigungspolitik blockiert hat (wie heute die Briten), treibt spätestens seit der Wahl Emmanuel Macrons zum Präsidenten die Zusammenarbeit voran. Wenn es nach den Franzosen ginge, wäre Pesco allerdings ein kleiner, exklusiver und robuster Kreis von Armeen, die im Krisenfall zusammen intervenieren. Auf Drängen der Deutschen wurden Teilnehmerkreis und Aufgabenspektrum weiter gefasst. Nach dem Brexit werden 27 Staaten verbleiben. Davon haben sich bislang nur sieben bei Pesco nicht festgelegt, überwiegend kleinere Mitglieder wie Zypern, Malta oder Portugal. Gut möglich, dass am Ende alle dabei sein wollen, zumal EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit einem Anreiz lockt: einem Verteidigungsfonds in Höhe von 500 Millionen Euro ab 2019, ab 2021 dann von einer Milliarde Euro. Er käme gerade Pesco-Rüstungsprojekten zugute.

Die Hoffnung ist ferner, dass Pesco auch den Zusammenhalt stärkt. Wie nötig die EU das hätte, verrät von der Leyen ein Blick auf die „Strategische Vorausschau“ ihres Hauses. In dem internen, 102 Seiten langen Papier werden sechs Szenarien durchgespielt, darunter schonungslos auch das eines Zerfalls der EU. Allerdings hat die Studie, über die der „Spiegel“ berichtete, ein Manko: Sie ist zwei Jahre alt.

20 verschiedene Flugzeuge – und 20 eigene Logistikketten

Die Wissenschaftler konnten weder alle Folgerungen des Brexit durchspielen noch Macrons Wahl oder den Politikwechsel in den USA einkalkulieren. US-Präsident Donald Trump war ungewollt der größte Treiber von Pesco. Nachdem er klargemacht hat, dass die Partner mehr für ihre Verteidigung tun müssen, setzte in den mittel- und osteuropäischen Staaten ein Umdenken ein und stieg dort die Zahl der Unterstützer. Schon seit 2010 koordinieren sechs EU-Staaten auf dem Stützpunkt Eindhoven ihre Lufttransportflotten. Im Frühjahr 2017 kam eine Europäische Kommandozentrale für Ausbildungs- und Trainingsmissionen hinzu.

Das sind allerdings nur Anfänge. Die militärische Einsatzpraxis ist ernüchternd. Es kann passieren, dass bei einem EU-Einsatz in Afrika drei unterschiedliche Hubschraubertypen zum Einsatz kommen. In Europa werden allein 2o Typen von Kampfflugzeugen geflogen. Das heißt auch: 20 unterschiedliche Ausbildungsgänge für Piloten, 20 Produktionslinien, 20 Instandsetzungs- und Logistikketten. „Die Erfahrung zeigt bislang“, beklagt Ministerin von der Leyen, „dass wir in Europa oft Ressourcen verschwenden.“