Berlin.

Viel Gegenwind für Christian Lindner in der Neuwahl-Debatte: Am Montag gab es aus den Reihen von CDU und Grünen Kritik am FDP-Vorsitzenden. „Ich muss schon sagen, dass das Gerede von Neuwahlen ziemlich unverantwortlich ist“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir. Man könne nicht wieder und wieder wählen, bis einem das Ergebnis passe. „Wir müssen aus diesem Ergebnis das Beste machen, im Sinne nicht nur unserer Parteien, sondern auch unseres Landes.“ Lindner hatte im Interview mit dieser Zeitung gesagt, die Liberalen hätten „keine Angst vor Neuwahlen“. Es mache „keinen Sinn, eine Regierung zu bilden, die nicht stabil ist und dauernd streitet“.

Daniel Günther (CDU) würde Neuwahlen sogar für eine „Katastrophe“ halten. „Es wäre ein Signal der Handlungsunfähigkeit demokratisch gewählter Parteien und ein Nährboden für Extrem-isten“, sagte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident der „Bild“. Allen sei bewusst, „dass es jetzt darum geht, Jamaika hinzubekommen“. Dazu müssten sich „alle Parteien am Tisch am Riemen reißen“.

Kanzlerin Angela Merkel warnte nach Teilnehmerangaben im CDU-Vorstand vor Neuwahlen. Auch die CDU müsse ein Jamaika-Bündnis nicht um jeden Preis eingehen, sagte die CDU-Vorsitzende nach Angaben der Deutschen Presseagentur. Es sei aber auch nicht klug, ständig öffentlich das Stichwort Neuwahl zu nennen. Schließlich hätten alle Partner auch die staatspolitische Verantwortung, eine stabile Regierung zu Stande zu bringen. Die Mehrheit der Deutschen glaubt, dass sich die Parteien einig werden: 64 Prozent der Bundesbürger rechnen laut einer Forsa-Umfrage mit der Bildung einer Regierung aus CDU, CSU, FDP und Grünen.

Jürgen W. Falter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mainz, hält Neuwahlen nicht für ausgeschlossen. „Die Wahrscheinlichkeit liegt bei unter 50 Prozent“, sagte Falter dieser Zeitung. Allerdings habe keine Partei Interesse an Neuwahlen. „Nur die AfD würde sich freuen – und wahrscheinlich noch besser abschneiden.“ Am Geld wird es laut Falter zumindest nicht scheitern. „Die Parteien könnten sich finanziell noch einen Wahlkampf leisten, wenn auch nicht in der Ausstattung wie diesen Sommer.“ Niemand schreibe den Parteien vor, „einen Wahlkampf so aufwändig zu gestalten, dass an jeder Ecke Großplakate stehen.“

Der Weg zu Neuwahlen wäre allerdings kompliziert. Die Kanzlerin kann diese nicht ausrufen wie etwa die Premierministerin in Großbritannien. Letztlich müsste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entscheiden. Das Prozedere würde so ablaufen: Steinmeier schlägt Merkel als Bundeskanzlerin vor. Sie erhält bei der Wahl im Bundestag keine absolute Mehrheit. Dann nominiert das Parlament einen anderen Kandidaten. Auch dieser bekommt keine absolute Mehrheit. Also kommt es zu einem weiteren Wahlgang, in dem die relative Mehrheit reicht. Der Bundespräsident hat dann die Wahl: Er kann den Gewählten zum Kanzler einer Minderheitsregierung ernennen – oder er schreibt Neuwahlen aus.

Merkel legte sich am Montag erstmals öffentlich auf ein Enddatum der Sondierungen fest. Am Donnerstag, dem 16. November, wolle sie „fertig sein“ mit den Gesprächen. Die Grünen beharren nicht länger auf ein Ende des Verbrennungsmotors im Jahr 2030. „Mir ist klar, dass wir alleine nicht das Enddatum 2030 für die Zulassung von fossilen Verbrennungsmotoren durchsetzen werden können“, sagte Parteichef Cem Özdemir der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. Es gehe nur noch um „ein klares Bekenntnis, dass wir alles dafür tun, um die Fahrzeuge der Zukunft – vernetzt, automatisiert und emissionsfrei – zu bekommen“.

Eine weitere Brücke schlug vor Beginn der zweiten Verhandlungsrunde Daniel Günther. Der CDU-Mann, der im Norden eine Jamaika-Regierung führt, forderte seine Partei zu mehr Kompromissbereitschaft in den Verhandlungen auf. So müsse es beim Familiennachzug „gewisse Zugeständnisse von unserer Seite an die Grünen geben“. Als „Familienpartei“ könne die CDU in diesem Bereich Kompromisse machen. Die CSU hat sich bisher entschieden gegen den Familiennachzug gestellt. Am Dienstag gehen die Gespräche in der Parlamentarischen Gesellschaft in größerer Runde weiter. Auch am Donnerstag und Freitag soll verhandelt werden.