Berlin.

Ökologisch korrekt wird die (geschäftsführende) Bundesregierung am heutigen Sonnabend vom Berliner Hauptbahnhof aus mit dem Zug zur UN-Klimakonferenz nach Bonn fahren. Wie es sich eben so gehört für den selbsternannten Klimaschutz-Musterschüler Deutschland, der in den kommenden zwei Wochen unter den 25.000 Teilnehmern gute Laune und gute Ideen für den Klimaschutz verbreiten will. Deutschlands Image als Energiewende-Weltmeister aber stimmt schon lange nicht mehr: „Man wird uns Fragen stellen“, sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), die gemeinsam mit Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die deutsche Delegation anführt.

Es wird die größte Konferenz werden, die je in Deutschland ausgerichtet wurde. In der Bonner Rheinaue hat man dazu in den vergangenen Monaten einen neuen Stadtteil errichtet. Direkt am Rhein entstand eine riesige Zeltstadt, die der Ort für Events sein soll: Länder, Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und Wissenschaftler zeigen in den Pavillons Lösungen für den Klimaschutz. Die internationalen Klimaverhandlungen selbst stehen unter der Präsidentschaft der Fidschi-Inseln und finden im nahegelegenen World Conference Center (WCCB) statt.

Von dem Treffen in Bonn werden keine Durchbrüche oder weitreichende Beschlüsse erwartet. Die diplomatische Tagesordnung sieht Textarbeit vor. Viel Textarbeit. Die COP 23, so heißt der Klimagipfel im UN-Fachchinesisch, soll weiter an der Umsetzung des Pariser Weltklimavertrags von 2015 arbeiten. Konkret heißt das: Gefeilt wird an einem Regelbuch, das bestenfalls im kommenden Jahr im polnischen Kattowitz von den Staaten verabschiedet werden soll.

Denn tatsächlich enthält der Pariser Vertrag lediglich die Eckpunkte eines Fernziels, zu denen sich Industrie- und Entwicklungsländer vor zwei Jahren erstmals gemeinsam bekannt hatten: Alles dafür zu tun, um den Anstieg der globalen Temperatur auf zwei Grad zu beschränken, möglichst aber auf 1,5 Grad. Jeder einzelne Staat muss nun alle paar Jahre konkrete nationale Beiträge nennen, die mithelfen sollen, dieses Ziel zu erreichen. Jeder Staat soll an seinen eigenen Verpflichtungen gemessen werden. Alle fünf Jahre soll künftig ein „Kassensturz“ gemacht werden um festzustellen, ob die Staatengemeinschaft noch auf Kurs ist.

Doch immer klarer wird nun, was der Pariser Vertrag für die Volkswirtschaften auf diesem Planeten bedeutet: Eine Vollbremsung beim Ausstoß der klimaschädlichen Treibhausgase, der laut Forderung der Wissenschaft noch vor der Mitte des Jahrhunderts auf Null zurückgefahren sein muss, um drastische Folgen der Klimaveränderungen zu verhindern. Wie und auf welchem Weg das erreicht werden soll, dazu sagt das Pariser Abkommen nichts. Klimaökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung warnt vor einem weiteren Hinauszögern des Ausstiegs aus Kohle, Öl und Gas: „Es wäre fatal, zu glauben: Wir haben doch schon den Pariser Vertrag, wozu brauchen wir noch Klimaverhandlungen?“

Gerade einmal 65 Kilometer vom Konferenzgelände entfernt klafft ein riesiges Loch in der Glaubwürdigkeit künftiger deutscher Klimaschutz-Anstrengungen. Aus dem Rheinischen Braunkohlerevier holt Deutschland immer noch Kohle, um sie in den Kraftwerken zu verfeuern. Mehrere Expertengremien attestieren: Die Bundesregierung wird ihr Klimaziel, die klimaschädlichen Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken, deutlich verfehlen. Im Kreis der UN-Klimadiplomaten gilt das als erheblicher Rückschlag für die weiteren Verhandlungen. Während die deutsche Delegation in Bonn den Willen zum Klimaschutz beteuern wird, geht es in Berlin in den Jamaika-Sondierungsrunden weiter um den Streit um das Ende der Kohleverstromung: Die Grünen wollen das Aus für Kohlekraftwerke bis 2030, doch FDP, CDU und CSU blocken ab. „Kohleausstieg“ gilt als Tabuwort.

Prominenz könnte das große Klimapalaver in der Rheinaue entkrampfen. Arnold Schwarzenegger hat sich angesagt, Leonardo Di Caprio und Al Gore auch – wohl auch mit Blick auf die US-Delegation, die Präsident Donald Trump zu den Verhandlungen entsendet. Es ist der erste Auftritt der USA nach Trumps Entschluss, aus dem Pariser Klimavertrag auszutreten. Aus formellen Gründen können die USA erst in zwei Jahren den Konferenztisch der Klimaverhandlungen verlassen. Niemand aber weiß, wie sie sich bis dahin verhalten, ob sie etwa Entscheidungen im Plenum blockieren.

Christoph Bals von der Umweltorganisation Germanwatch setzt darauf, dass einzelne US-Bundesstaaten angeführt von Kalifornien die Bühne des UN-Gipfels nutzen, um dem Klimakurs von US-Präsident Donald Trump entgegenzutreten. Gemeinsam mit Städten und Unternehmen haben sie das Bündnis „We are still in“ (Wir sind noch drin) gegründet und wollen auf eigene Faust die unter Barack Obama versprochenen Klimaschutzziele umsetzen.

Und noch etwas könnte Dynamik entwickeln: Zum ersten Mal hat mit Fidschi einer der kleinen Inselstaaten aus dem Südpazifik den Vorsitz einer Weltklimakonferenz. Damit rückt die Staatengruppe der besonders verwundbaren Länder in den Mittelpunkt: Fidschi ist eine der Inseln, die durch den Anstieg des Meeresspiegels vom Untergang oder Überschwemmung von Küstenregionen bedroht ist. „Für Fidschi“, sagt Sabine Minninger von der Organisation Brot für die Welt, „ist der Klimawandel längst Alltag.“