Istanbul. Verhaftungen und Razziengegen vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan setzt die Jagd auf mutmaßliche Anhänger seines Erzfeindes Fethullah Gülen fort. Beamte der türkischen Anti-Terror-Polizei fahndeten am Mittwoch in landesweiten Razzien nach 112 Verdächtigen, denen Verbindungen zu dem Exilprediger Fethullah Gülen zur Last gelegt werden. Der in den USA lebende Gülen, bis vor fünf Jahren noch ein enger Erdogan-Verbündeter, soll Drahtzieher des Putschversuchs vom Juli 2016 gewesen sein.

Bei den Gesuchten, nach denen in 16 Provinzen gefahndet wurde, soll es sich um frühere Mitglieder und Mitarbeiter der Gülen-nahen Stiftung für Journalisten und Schriftsteller (JWF) handeln, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Die Stiftung war nach dem Putschversuch verboten worden. Bei weiteren Razzien wurden in verschiedenen Landesteilen mindestens 94 Verdächtige festgenommen, darunter 26 Soldaten. Auch ihnen werden Gülen-Verbindungen vorgeworfen.

Am Mittwoch erließ ein Istanbuler Gericht Haftbefehl gegen den bekannten Geschäftsmann Osman Kavala. Er war am 18. Oktober am Istanbuler Flughafen festgenommen worden. Kavala ist eine der führenden Figuren der türkischen Zivilgesellschaft und Vorsitzender des Kulturinstituts Anadolu Kültür, das auch mit dem Goethe-Institut in Istanbul zusammenarbeitet. Kavala werde versuchter Regierungssturz vorgeworfen, meldete die Agentur Anadolu.

Seit dem Putschversuch wurden in der Türkei fast 230.000 Menschen festgenommen. Davon sitzen rund 54.500 in Untersuchungshaft. Allein im Oktober gab es nach Angaben des türkischen Innenministeriums im Zusammenhang mit dem Putschversuch 3158 Festnahmen, also durchschnittlich rund 100 pro Tag. Fast 147.000 Richter, Staatsanwälte, Lehrer, Polizisten, Soldaten und andere Staatsbedienstete verloren seit dem Umsturzversuch ihre Jobs. Über 169.000 Strafverfahren sind gegen Putsch-Verdächtige anhängig. Seit Anfang dieses Jahres haben die türkischen Gerichte bereits 140 lebenslange Haftstrafen verhängt. Unter den Verurteilten sind sowohl Soldaten und Polizisten als auch Zivilisten.

Auf ein Strafverfahren muss sich auch Bülent Tezcan einstellen, der Sprecher der größten türkischen Oppositionspartei CHP. Tezcan hatte am Montag bei einer Parteiveranstaltung im westtürkischen Tekirdag Staatschef Erdogan als „faschistischen Diktator“ bezeichnet. Erdogans Anwälte erstatteten daraufhin Anzeige gegen den Oppositionspolitiker wegen „Präsidentenbeleidung“. Darauf stehen in der Türkei bis zu vier Jahre Haft.