Barcelona. Der katalanische Regierungschef lehnt Neuwahlen ab. Er will die Unabhängigkeit der Region weiter vorantreiben

Es bleibt beim harten Kurs: Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont hat bei einer Rede in Barcelona entgegen aller Erwartungen keine Neuwahlen angekündigt. Er werde seinen Plan für eine Unabhängigkeit der Region weiter verfolgen, erklärte Puigdemont stattdessen. Er warf Madrid vor, eine Einigung zu verhindern.

Was das für die Unabhängigkeit Kataloniens bedeutet, bleibt offen. Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy hatte Puigdemont wiederholt aufgefordert, auf den Boden der spanischen Verfassung zurückzukehren. Andernfalls würde die spanische Zentralregierung den Verfassungsartikel 155 aktivieren: Damit würde die katalanische Regierung ent­-machtet. Ob das so weit kommt, wird erst die Reaktion des Senats in Madrid, Spaniens parlamentarisches Oberhaus, an diesem Freitagmorgen zeigen. Es soll zusammentreten, um die Maßnahmen gegen die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen zu billigen.

Wie angespannt das Verhältnis ist zwischen Spanien und Katalonien, kann man am Donnerstag sehen, als sich Tausende von Studenten vor der Universität in Barcelona versammeln. Niemand darf das ehrwürdige Gebäude betreten, das kommende Woche sein 567. Jahr der Eröffnung feiert. Die Studierenden haben vor den Eingang der Universität Mülltonnen geschoben. Draußen halten sie Transparente in die Höhe mit „Keine Wahlen!“, „Besatzungstruppen raus“ oder „Lasst uns Geschichte machen – Jetzt die Republik“. Jedes Mal, wenn ein Hubschrauber der Guardia Civil über die Demonstranten fliegt, recken sie Mittelfinger in die Höhe, und rufen: „Die Straße gehört uns!“ Der Student Abel Gutierrez, der eine deutsche Antifa-Flagge schwenkt, sagt: „Entweder kommt es in dieser Woche zur Unabhängigkeit oder gar nicht.“

Als Puigdemont gegen 17 Uhr seine Fernsehansprache hält, demonstrieren einige Katalanen vor dem Regierungspalast in Barcelona. Andere sitzen gebannt in Kneipen und Tapas-Bars vor dem Fernseher. Puigdemont sagt, er habe Neuwahlen erwogen, um „die Spannung im Verhältnis zur Zentralregierung zu glätten“, sei dann aber davon abgerückt. Als er das sagt, klatschen einige Zuschauer. Doch der Traum der Unabhängigkeitsanhänger, die Katalonien vom spanischen Staat abtrennen wollen, ist immer noch in weiter Ferne. Auch die Sorge, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen spanischer Polizei und lokalen Demonstranten kommen könnte, ist nach wie vor groß. Das Parlament will noch bis in die Nacht hinein tagen.

Jemand, der die Bewegung erst mit Abstand und dann als Aktivist begleitet hat, ist Cristian Espinosa. Der 25-Jährige ist Übersetzer und erst seit sieben Jahren Verfechter der Unabhängigkeit. Das war das Jahr, als das Verfassungsgericht die bereits garantierten Autonomie-Gesetze kassierte. „Wir haben politisch seit Jahren wirklich alles probiert, um mit Madrid ins Gespräch zu kommen, aber kamen nicht weiter.“ Für ihn ist das Referendum vom 1. Oktober nicht illegal, weil er die Gesetze Spaniens, was diese Wahl betrifft, nicht anerkennt: „Dann müssen wir eben die Gesetze ändern.“ Neuwahlen wären auch für ihn keine Lösung, weil dann die Linken noch mehr Macht gewinnen würden. „Wir Katalanen werden weiter für die Unabhängigkeit und ein Referendum kämpfen, so oder so.“

Am Donnerstag bleibt es friedlich auf den Straßen Barcelonas. Die meisten Demonstranten sind sehr jung, um die 20 Jahre alt, aufgewachsen in den 2000ern, in denen die spanisch-katalanischen Beziehungen sich stetig verschlechterten. Die Steuern seien direkt an die Zentralregierung gegangen und nur wenig sei zurückgezahlt worden, das erzählen jedenfalls viele auf der Demonstration.

Cristian Espinosa ist sich sicher, dass Artikel 155 zu einem Volksaufstand führen könnte. „Man kann nicht ein Land gegen den Willen von mindestens 50 Prozent der Einwohner beherrschen“, sagt er. Er geht davon aus, dass sein Land irgendwann eine Unabhängigkeit bekommen werde, schließlich hätten sie alle Merkmale eines Nationalstaates: Flagge, Hymne, Landessprache, Staatsgebiet – und Zusammengehörigkeitsgefühl.

Nicht gehört werden in diesen Tagen die Stimmen von Menschen wie Neria und David. Sie gehen nicht demonstrieren, sie sind auf dem Heimweg und gegen die Unabhängigkeit. Sie glauben nicht, dass ihre Regierung einen Kompromiss aushandeln wird. „Sie müssen eine Lösung für alle Katalanen finden“, sagt die 23-Jährige, „denn es bringt nicht nur wirtschaftliche Nachteile, sondern es vergiftet den gesamten Dialog mit anderen Teilen Spaniens auf lange Zeit.“ Ihr Freund nickt. David hat nicht abgestimmt beim Unabhängigkeitsrefrendum am 1. Oktober. Beide meinen, ihr Land sei immer Teil von Spanien gewesen: „Das Referendum war illegal, und wenn ich mit meinen Freunden rede, die es unterstützt haben, dann habe ich mehr das Gefühl, sie seien Fanatiker.“