Berlin.

Im August konnte sich die Bundesregierung noch herausreden. Damals war der Bundestagswahlkampf in vollem Gang und keine der Parteien mochte über mögliche Steuererhöhungen sprechen. Als das Umweltbundesamt damals forderte, Benzin und Diesel endlich gleich zu besteuern, reagierte die Bundesregierung zurückhaltend.

Eine solche Debatte sei nur sinnvoll, wenn sie im Zusammenhang mit dem Steuersystem insgesamt geführt würde, hieß es aus dem Umweltministerium. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich zwar für die Bevorzugung der Dieselautos aus. Sie seien weniger klimaschädlich. Aber eine Debatte wollte auch sie unbedingt vermeiden. Das war, wie gesagt, im August. Jetzt sind Wahlkampf und Wahl vorbei und die vier Partner einer möglichen Jamaika-Koalition sprechen über Steuern, Finanzen und – an diesem Donnerstag – auch über die Umweltpolitik.

Geht es nach dem Bundesrechnungshof, dann sollten sich Union, FDP und Grüne dringend über den Diesel unterhalten. Oder allgemeiner: über Subventionen. Denn eine geringere Besteuerung von Dieselkraftstoff sei eine Subvention, die abgeschafft werden sollte. „Nicht zuletzt gehört die unterschiedliche Besteuerung von Diesel und Benzin auf den Prüfstand“, sagt Rechnungshof-Präsident Kay Scheller dieser Redaktion. „Beide Kraftstoffe haben Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Insofern stellt sich die Frage, weshalb der eine gegenüber dem anderen privilegiert wird.“

Benzin wird rund 18 Cent höher besteuert als Diesel

Ganz generell halte der Bundesrechnungshof eine kritische Überprüfung von Steuersubventionen und Steuervergünstigungen für geboten, sagt Scheller. Dafür böten sich die Subventionen im Bereich der Stromsteuer sowie der übrigen Energiesteuern an. Entsprechend ist im aktuellen Bericht des Rechnungshofs, der dieser Redaktion vorliegt, ein eigenes Kapitel den Vergünstigungen beim Diesel gewidmet. Mit dem Bericht versucht der Rechnungshof der neuen Bundesregierung aufzuzeigen, welchen Spielraum sie in den nächsten vier Jahren hat und wo es dringend Handlungsbedarf für Reformen gibt.

So rechnen die Beamten der Kon­trollbehörde in Sachen Diesel vor, dass dem Staat theoretisch acht Milliarden Euro Energiesteuer entgehen, weil der Kraftstoff geringer als Benzin besteuert wird. Derzeit kassiert der Staat 47,04 Cent pro Liter Diesel. Beim Benzin sind es dagegen 65,45 Cent pro Liter. Die Ausfälle sind wahrscheinlich sogar noch größer, weil auch die Einnahmen aus der Umsatzsteuer, die auf den Verkaufspreis an der Tankstelle erhoben wird, bei jedem Liter Diesel entsprechend geringer ausfallen. Wegen der ungleichen Besteuerung entgingen dem Staat rein rechnerisch 1,5 Milliarden Euro Umsatzsteuer, so der Rechnungshof. Er bezieht sich dabei auf Angaben des Bundesfinanzministeriums aus dem Jahr 2015.

Würde man jeden Liter Diesel, der an Pkw-Fahrer verkauft wird, so hoch besteuern wie Benzin, dann bekäme der Staat 3,7 Milliarden Euro mehr Einnahmen. Beim Diesel für Lkw wären es noch einmal 4,1 Milliarden Euro. Dass Diesel an der Zapfsäule geringer besteuert wird, weil die Kfz-Steuer für Dieselfahrzeuge höher ist als für Benziner, das zählt für den Rechnungshof nicht als Argument. Im Gegensatz zum Finanzministerium sehe man beim Steuersatz für den Kraftstoff „Handlungsbedarf“, heißt es in dem Bericht: „Ökologische Gründe für die günstigere Besteuerung von Diesel sind nicht erkennbar“. Eine Anhebung des um über 18 Cent niedrigeren Dieselsteuersatzes auf das Niveau des Benzinsteuersatzes wäre im Interesse des Umwelt- und Gesundheitsschutzes „naheliegend“, heißt es in dem Bericht. Gleichzeitig sollte der erhöhte Kraftfahrzeugsteuersatz für Diesel-Fahrzeuge abgesenkt werden. Was das kostet, steht nicht in dem Bericht.

Der Grund, weshalb sich die Kon­trolleure des Themas annehmen, ist der Bundeshaushalt insgesamt. Denn die finanziellen Herausforderungen, die auf die Bundesregierung zukommen, seien gewaltig. Rechnungshof-Präsident Scheller zählt auf: Belastungen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und mit der Infrastruktur. Der Atomausstieg müsse ebenso bewältigt werden wie die Folgen des Zuzugs von Flüchtlingen und der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen. Hinzu kämen die Folgen des Brexit, die man kaum absehen könne. „Der Bundeshaushalt muss zukunftsfest gemacht werden. Je nachhaltiger konsolidiert wird, desto weniger ist er abhängig von konjunkturellen Schwankungen“, sagt Scheller. Die neue Bundesregierung werde sich nicht allein auf steigende Steuereinnahmen und historisch niedrige Zinsen verlassen können, um einen Haushalt ohne neue Schulden vorlegen zu können. „Sie sollte die Chance für eine nachhaltige strukturelle Konsolidierung des Bundeshaushalts ergreifen“, lautet der Rat.

Schellers Beamten haben sich deshalb auch erneut das Chaos beim ermäßigten Umsatzsteuersatz vorgenommen. Hier sei das Einsparpotenzial nach wie vor „erheblich“, heißt es in dem Bericht: „Die Größenordnung der Steuermindereinnahmen aufgrund des ermäßigten Umsatzsteuersatzes liegt bei 30,6 Milliarden Euro.“ Konkrete Vorschläge, wo und wie genau reformiert werden soll, finden sich in dem Bericht nicht. Das Ziel müsse aber sein, so heißt es darin, „ein einfaches und zielgenaueres Umsatzsteuerrecht zu erreichen sowie sachlich nicht nachvollziehbare Unterschiede in der Besteuerung zu vermeiden.“

Gegenwärtig, formuliert Scheller, dienten viele der bei der Umsatzsteuer gewährten Vergünstigungen nicht gesamtwirtschaftlichen Zwecken, „sondern der Erfüllung ökonomischer Einzelinteressen“. Aus dem Steuersystem heraus seien sie nicht zu erklären. Würde man sie streichen, könnten zusätzliche Spielräume für Investitionen gewonnen werden, um beispielsweise eine Lohn- und Einkommensteuerreform mit einer spürbaren steuerlichen Entlastung der unteren und mittleren Einkommen auf den Weg zu bringen.

Auch in anderen Kapiteln des Berichts tauchen finanzielle Risiken auf, die schon oft kritisiert wurden. So ist der Zuschuss des Bundes an die Rentenversicherung nach wie vor der mit Abstand größte Posten bei den Ausgaben: Allein für das kommende Jahr sind fast 94 Milliarden Euro Zuschuss für die Rente eingeplant. Nach Auffassung des Rechnungshofs deute sich schon an, dass diese Summe bald nicht mehr tragfähig sei. Jedenfalls müsse in den nächsten vier Jahren mit „überproportionalen Ausgabesteigerungen“ gerechnet werden. Das Rentenpaket, das von der großen Koalition in der vergangenen Wahlperiode beschlossen wurde, wirke dabei „ausgabenverschärfend“, heißt es in dem Bericht.

Größter Kostentreiber sei die Mütterrente, für die die Ausgaben wegen der regelmäßigen Rentenerhöhungen weiter steigen werden, obwohl die Zahl der Empfängerinnen zurückgeht. Zwar werde die Mütterrente gegenwärtig aus den Rentenbeiträgen finanziert, so die Experten des Rechnungshofs. Doch „der Druck auf den Bund, diese Leistung komplett aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren, dürfte wachsen.“ Auch auf die Situation in der Krankenversicherung blickt der Rechnungshof mit Sorge: In einigen Bereichen stiegen die Ausgaben an: „Ohne Kostensenkungsmaßnahmen dürften sich der Finanzbedarf und damit der Finanzierungsdruck auf den Bundeshaushalt mittelfristig erhöhen.“