Wiesbaden.

Volker Bouffier kennt sich aus mit komplizierten Koalitionsverhandlungen. Vor vier Jahren hat er die ausgesprochen konservative hessische CDU in ein Bündnis mit den Grünen geführt, das seither ziemlich geräuschlos arbeitet. Sein Rat zum Auftakt der Jamaika-Sondierungen: Keine roten Linien. Und bloß keine Debatte über Kurs und Personal der Union – enttäuschenden Wahlergebnissen zum Trotz.

Muss sich Angela Merkel bei ihren Parteifreunden in Niedersachsen entschuldigen, Herr Bouffier?

Volker Bouffier: Nein, warum?

Die Landtagswahl brachte ein historisch schlechtes Ergebnis für die CDU – und Spitzenkandidat Bernd Althusmann klagte über Gegenwind aus Berlin.

Zunächst war dies eine Landtagswahl. Dabei hat die CDU ihr Ziel nicht erreicht, stärkste Fraktion zu werden. Das Abschneiden der Union bei der Bundestagswahl hat die niedersächsische Landespartei sicher nicht unberührt gelassen. Aber zwei Drittel der Wähler haben angegeben, entscheidend für ihre Wahl seien landespolitische Fragen gewesen.

Die CSU spricht von einem Alarmsignal und bekräftigt ihre Forderung nach einem Richtungswechsel der Union. Lässt sich die CDU auf einen Kurs Mitte-rechts ein?

Die CDU ist gut beraten, die Mitte zu verteidigen. Die Bundestagswahl hat gezeigt: Wir haben weit mehr Stimmen an die FDP als an die AfD verloren. Es muss darum gehen, die Aufgaben zu lösen, die vor uns liegen: Zusammenhalt der Gesellschaft, Integration, Globalisierung, Digitalisierung, Klima, Energie, Nachhaltigkeit. Wir sollten uns mit der Zukunft beschäftigen – und nicht mit der Frage, was war. Das ist der richtige Weg, Wähler zurückzuholen, die wir an andere verloren haben.

In Österreich hat Sebastian Kurz vorgemacht, wie man eine konservative Volkspartei zum Wahlsieg führt. Die CSU fühlt sich bestätigt ...

Natürlich müssen wir uns fragen, was wir aus dem Erfolg von Sebastian Kurz lernen können. Die Situation in Österreich ist allerdings eine andere. Das lässt sich nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Österreich hat 30 Jahre große Koalition hinter sich. Davon haben die Wähler die Nase voll. Sebastian Kurz hat die Wende geschafft mit seiner frischen Art ...

... und einem strammen Rechtskurs.

Moment! Die ÖVP hat zwar zugelegt. Aber auch die rechtsnationale FPÖ ist deutlich stärker geworden.

Die Union wird die AfD nicht kleinhalten, wenn sie mehr Sebastian Kurz wagt – wollen Sie das sagen?

Das ist eine journalistische Zuspitzung. Tatsache bleibt: Sebastian Kurz hat die FPÖ nicht zurückgedrängt. Das Gegenteil ist passiert. Österreich kann keine Blaupause für Deutschland sein. Sebastian Kurz hat nicht den Masterplan für Deutschland entworfen. Jedes Land – und jede Partei – muss einen eigenen Weg gehen.

Sie galten einige Zeit als letzter Konservativer der CDU. Seit Sie in Wiesbaden mit den Grünen regieren, ist von dieser Haltung allerdings kaum noch etwas zu spüren. Sind Sie mit dafür verantwortlich, dass die CDU ihre Stammwähler nicht mehr so gut erreicht wie früher?

Ich kenne diese Vermutung: Früher war ich der schwarze Sheriff, heute bin ich der Grünen-Versteher. Aber das ist Unsinn. Ich habe mich nicht geändert. Wir bleiben bei dem, was sich bewährt hat. Aber manchmal muss man etwas verändern, damit der Kern bewahrt wird. Die Kunst ist, unverwechselbar zu bleiben – und gleichzeitig auf Herausforderungen zu reagieren, die es vor 20 Jahren noch nicht gab.

Wird es nach dem vergangenen Wahlsonntag noch schwieriger, im Bund eine Jamaika-Koalition zu schmieden?

Die Herausforderung, eine Koalition von Union, FDP und Grünen zustande zu bringen, ist außergewöhnlich anspruchsvoll. Das wird mit die schwierigste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Wahl in Niedersachsen ändert daran nichts. Die Sozialdemokraten haben sich noch am Wahlabend vom Acker gemacht. Parteipolitisch mag das verständlich sein, aber staatspolitisch ist es ein Problem. Wir sollten zügig verhandeln, uns aber nicht unnötig unter Druck setzen. Jamaika ist keine Notgemeinschaft, sondern kann auch Chancen eröffnen.

Welchen Koalitionsvertrag stellen Sie sich vor?

Wir brauchen einen sorgfältigen Koalitionsvertrag, entscheidend ist aber etwas anderes: Es muss ein gemeinsames Verständnis der Bündnispartner geben, das über das hinausreicht, was man heute schon festschreiben kann. Voraussetzung dafür ist wechselseitiges Vertrauen. Jeder Partner muss erkennbar bleiben und mit Respekt behandelt werden. Dann kann eine Jamaika-Koalition gelingen. Es wäre unklug, mit roten Linien in die Verhandlungen zu gehen.

Ist der Kompromiss zur Zuwanderung, den CDU und CSU nach langem Streit erst nach der Bundestagswahl gefunden haben, in den Gesprächen mit FDP und Grünen verhandelbar?

Die Union hat eine Position, die ich für klug halte. Damit werden wir in die Gespräche gehen.

Maximal 200.000 Zuwanderer im Jahr, die Einrichtung von Abschiebezentren, eine weitere Aussetzung des Familiennachzugs – das werden die Grünen kaum mitmachen ...

Das werden schwierige Verhandlungen für alle Seiten. Die Zuwanderung wird eine der zentralen Fragen. In diesem Punkt haben alle Parteien sehr unterschiedliche Vorstellungen. Aber wir brauchen eine vernünftige und tragfähige Lösung.

War es klug von Bundesinnenminister de Maizière, muslimische Feiertage ins Gespräch zu bringen?

Die Frage, ob der deutsche Staat muslimische Feiertage einführt, steht im Augenblick nicht zur Debatte.

Was wäre die Alternative zu Jamaika? Neuwahlen?

Es geht einerseits um staatspolitische Verantwortung und andererseits um die Erkennbarkeit der beteiligten Parteien. Alle sind klug beraten, wenn sie sich darauf konzentrieren, jetzt eine stabile Regierung zustande zu bringen.

Vor der Bundestagswahl sagte CSU-Chef Seehofer, er könne sich sogar eine fünfte Amtszeit von Kanzlerin Merkel vorstellen. Geht Ihnen das auch so?

Ich kann mir viel vorstellen, aber wir reden jetzt über die vierte Amtszeit.

Wie sollte die CDU den Generationswechsel – ganz gleich, wann er ansteht – gestalten? Muss die Merkel-Nachfolge vorbereitet werden, oder kann Ihre Partei einfach abwarten, wer sich durchsetzt?

Ich bitte Sie! Wir haben eine Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin, die in aller Welt anerkannt wird. Angela Merkel ist keine Vorsitzende auf Abruf. Und was wir irgendwann mal machen, steht jetzt nicht zur Debatte. Die CDU sollte bestrebt sein, dass ein Wechsel nicht irgendwie passiert, sondern dass sich die Partei optimal aufstellt. Aber diese Frage stellt sich jetzt nicht.

Steht Merkel noch im Zenit ihrer Macht?

Angela Merkel kann zum vierten Mal eine Regierung bilden. Das ist einzigartig in Europa und sicher ein Zenit.