Wien.

Der Jubel im Kursalon Hübner im Wiener Stadtpark ist riesig. Als bei der ersten Hochrechnung die türkisfarbene Säule der ÖVP nach Berechnungen des Österreichischen Rundfunks (ORF) über die 30-Prozent-Marke deutlich auf Platz eins klettert, sind die Parteifreunde nicht mehr zu halten. Sie haben kräftig an Stimmen dazugewonnen. Minutenlanger Applaus.

Als die ÖVP-Anhänger das Ergebnis der Freiheitlichen FPÖ vernahmen, jubelten sie erneut. Dies zeigt, dass zumindest die Parteifreunde eine Koalition mit den Rechtspopulisten bevorzugen würden. Die FPÖ kommt laut Hochrechnung auf mehr als 25 Prozent. Ebenso die sozialdemokratische SPÖ, die viele Jahrzehnte stärkste Kraft in Österreich war und seit 2006 immer wieder den Kanzler stellte. Beide lieferten sich am Wahlabend ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Auch die kleinen Parteien – NEOS und Liste Pilz – haben gute Chancen, in den Nationalrat einzuziehen, liegen jedoch mit deutlichem Abstand hinter den Großen. Insbesondere die Grünen erlebten ein Debakel. Da die fast 890 000 Briefwahlstimmen erst ab Montag ausgezählt werden, kann sich am Ergebnis jedoch noch einiges ändern. So könnten gerade die Grünen auch noch an der Vier-Prozent-Hürde scheitern.

Asyl und Flüchtlinge waren wichtige Wahlkampfthemen

Das Ergebnis markiert einen Rechtsruck. Sebastian Kurz hat gute Chancen, der neue und zugleich jüngste Kanzler der Alpenrepublik zu werden. Das Ergebnis zeigt, dass es dem 31-Jährigen gelungen ist, sich als Kraft der Erneuerung zu positionieren. Der Wahlkampf war – ähnlich wie bei Emmanuel Macron in Frankreich – ganz auf ihn als Person zugeschnitten. Nach der Wahl meinte der stets höfliche ÖVP-Chef, er nehme die Verantwortung mit großer Demut an. Das Ergebnis sei eine „Chance für eine echte Veränderung“.

Sebastian Kurz hat seine Partei zur stärksten Kraft in Österreich gemacht. Der junge Konservative hat es geschafft, die ÖVP in weniger als fünf Monaten auf Kanzlerkurs zu bringen. Als „Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei“ startete seine Bewegung in den Wahlkampf und erlangte schon bei ersten Umfragen im Mai 30 Prozent der Wählerzustimmung.

Die rechtspopulistische FPÖ, die wegen der Unzufriedenheit der Österreicher mit der Flüchtlingspolitik lange oben in der Gunst der Wähler rangierte, wurde von Kurz damit praktisch entthront – vor allem, indem Kurz das „Ausländerthema“ von der FPÖ besetzt hat. Ein großer Teil des ÖVP-Wahlprogramms ist mit dem Thema Migration verbunden.

So wie früher nur die FPÖ unter Heinz Christian Strache, konzentrierte Kurz seinen Wahlkampf auf Asyl- und Migrationspolitik. Kurz verknüpfte praktisch jedes Thema mit den „Ausländern“ – Einsparungen im Sozialbereich, die Senkung der Steuerquote, die innere Sicherheit des Landes. Sebastian Kurz hat in diesem Wahlkampf aber nicht nur auf Flüchtlingspolitik, sondern vor allem auf sich selbst gesetzt. Er weiß, dass er mit einem personalisierten Wahlkampf besser beim Wähler ankommt, als durch dröge Parteipolitik: „Ja, es ist viel Macht gebündelt bei einer Person, mehr als in anderen Parteien.“

Für die Wahl wurde das Image der ÖVP aufpoliert. Statt auf das übliche ÖVP-Schwarz, setzt die „Liste Sebastian Kurz“ auf Türkis – als Zeichen der Moderne. Wie man sich medial präsentiert, weiß der telegene 31-Jährige nur zu gut. Der gebürtige Wiener steht seit Jahren im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Vor seinem Höhenflug studierte Kurz, Sohn einer Lehrerin und eines Mechanikers, Rechtswissenschaften – ein Studium, das er allerdings nicht mit Abschluss beendete.

Früh widmete er sich der Politik. Seit 2003 ist Sebastian Kurz Mitglied der Jungen Volkspartei (JVP), der Jugendorganisation der ÖVP. Mit 21 wurde er Obmann in Wien, mit 22 von ganz Österreich. Der Sprung in die Regierung gelang ihm bereits im Juni 2011, als er als neuer „Integrationsstaatssekretär“ des Bundesministeriums für Inneres vorgestellt wurde.

Nach der Nationalratswahl 2013 wurde Kurz mit 27 Jahren jüngster Außenminister der österreichischen Geschichte und hat diese Karrieresprünge relativ skandalfrei überstanden, was man von der politischen Konkurrenz nicht sagen kann.

Es findet sich wenig Belastendes, was das Image des braven Schwiegersohns trüben könnte. Als kleiner Ausrutscher gilt die „Schwarz macht geil“-Kampagne aus dem JVP-Wahlkampf 2010. Filmaufnahmen zeigen den damals 24-Jährigen vor dem „Geil-O-Mobil“, von dem aus Kondome verteilt wurden. Ein Versuch, der konservativen Partei einen hippen Anstrich zu verpassen. Diese PR-Kampagne sollte eine peinliche Ausnahme bleiben.

Für viele Wähler ist Kurz „ein gescheiter junger Mann“ ohne Fehl und Tadel. Dieses Bild wurde intensiv gepflegt: Seit der Schulzeit ist Kurz mit Jugendliebe Susanne Thier liiert, mit der er sich selten in der Öffentlichkeit präsentiert. In seinem Wahlkampfvideo betont er das innige Verhältnis zu seinen Eltern, während weitere Familienangehörige von seiner Tierliebe, aber auch von seiner Bescheidenheit sprechen: „Ich wollte definitiv nie Berufspolitiker werden“, sagt Kurz bedächtig. Die Wählerinnen und Wähler entschieden sich am Sonntag weniger für die ÖVP als für Sebastian Kurz.