Berlin.

Das tut gut. „Wir sind stolz und sehr froh“, sagt Martin Schulz am Wahlabend im Willy-Brandt-Haus in Berlin, der Parteizentrale. Die SPD hat gewonnen. Schulz freut sich für die Partei in Niedersachsen – „und auch für uns hier“, fügt er hinzu.

Gegen 16.45 Uhr hält Schulz eine Schaltkonferenz ab. Verbunden sind das Präsidium und die Ministerpräsidenten. Einige Mitglieder der Führung sind in Berlin und sitzen wie der Kieler Ralf Stegner in der fünften Etage im Büro des Vorsitzenden. Die neue Fraktionschefin Andrea Nahles stößt später dazu; der Start ihres Flugzeuges in Frankfurt hatte sich verzögert. Die Zahlen, die sich schon früh abzeichnen, sind eindeutig: Der Erfolg der Sozialdemokraten ist unzweifelhaft – und Balsam für die Seele der Schulz-SPD. Politik ist so: gnadenlos erfolgsabhängig.

Was die Genossen in dem Bundesland geleistet hätten, sei „einzigartig in der Wahlkampfgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“ und gebe auch der Bundespartei Rückenwind, sagt Schulz. Der bisherige Generalsekretär Hubertus Heil, selbst ein Niedersachse, erklärt: „Da kann die Bundes-SPD was lernen.“

Schulz ist ein glücklicher Mann, nicht nur, weil er monatelang politisch auf Diät war und an diesem Sonntag wieder einen Wahlsieg auskosten darf. Fast wichtiger ist, dass er sich strategisch bestätigt fühlt. Anders als bei der Bundestagswahl legte es die CDU im Norden auf eine beinharte Auseinandersetzung mit der SPD an. Und siehe da: Diese Auseinandersetzung führte dazu, dass die politische Mitte gestärkt wurde. Auffällig ist, dass kleine Parteien wie FDP und Grüne unter ihren Möglichkeiten blieben. Die Linke? An der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Der Höhenflug der AfD? Er setzt sich zwar nicht fort, aber die Partei zieht in den Landtag ein.

Schulz’ Erklärung für den Wahlausgang reicht über Niedersachsen hinaus: Es geht um die Art und Weise, wie der Erfolg erzielt wurde. Dort hat die Landes-CDU, anders als ihre Bundespartei, nicht auf eine asymmetrische Demobilisierung gesetzt. Der sperrige Begriff steht für die Strategie, im Wahlkampf den großen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Es war lange Zeit das Erfolgsrezept von CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel – und es war bei der Bundestagswahl das Trauma der SPD. Jetzt fühlt sich Schulz gestärkt. Aus der Europa-SPD, der eigentlichen Hausmacht des langjährigen Europapolitikers, kommt Aufmunterung: Schulz möge die Europawahl 2019 in den Blick nehmen. Anders gesagt: Im Amt bleiben. „Der Parteichef muss den Motor der Erneuerung der Sozialdemokratie in Deutschland verkörpern“, sagte der EU-Abgeordnete Jens Geier dieser Zeitung.

Wichtiger ist für den gescheiterten Kanzlerkandidaten erst mal, dass seine Partei in Niedersachsen stärkste Kraft ist. Daraus leitet sie einen Regierungsauftrag ab. Der alte und vermutlich neue Ministerpräsident Stephan Weil rückt mit dem Erfolg in einen exklusiven Zirkel auf: Er gehört wie Malu Dreyer und Olaf Scholz zu den SPD-Regierungschefs, die sich im Amt behaupten konnten. Bisher hielt er sich in der Bundespolitik zurück. Das mag sich nun ändern.

Für die CDU ist es das schlechteste Ergebnis seit 1959

Wegen der Landtagswahl kam die Regierungsbildung in Berlin seit Wochen nicht voran. Nach diesem Sonntag gerät alles in Bewegung: Am Dienstag kommt die SPD-Fraktion im Bundestag zu einer Klausur zusammen – die größte Oppositionspartei formiert sich. Nur einen Tag später starten die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition. Merkel will vorerst einzeln mit Grünen und FDP reden. Rückenwind für diese Gespräche ist die Niedersachsen-Wahl freilich nicht.

Das schlechteste Ergebnis seit 1959 in Niedersachsen ist ein Rückschlag für die Bundes-CDU. Der Schwung, mit dem sie ins Jahr gestartet war, mit Wahlerfolgen in drei Ländern, ist dahin. Schon bei der Bundestagswahl war die Union unter den Erwartungen geblieben. Nun dürften die Stimmen wieder laut werden, die eine selbstkritische Aufarbeitung fordern. Den Anfang macht der CDU-Wirtschaftsrat. „Der Schlüssel für die Niederlage in Hannover liegt leider im Berliner Wahlabend am 24. September, als man die verheerenden Verluste von über acht Prozent zu einem strategischen Sieg schöngeredet hat“, sagt Generalsekretär Wolfgang Steiger der „Bild“-Zeitung. „Die Wahlverlierer, die am Wahlabend gesagt haben „Wir haben verstanden“, haben heute in Hannover gewonnen. Diejenigen, die erklärten, sie hätten „alles richtig gemacht“, sind diesmal Verlierer.“ Gemeint ist Merkel.

Vorsorglich hatte die Kanzlerin versprochen, die Bundestagswahl auf einer Klausur analysieren zu lassen. Nun wird man obendrein die Stimmverluste in Niedersachsen erklären müssen. Anders als Schulz geht Merkel am Sonntag nicht vor die Presse. Das macht sie bei Landtagswahlen nie. Die Deutung überlässt sie den Spitzenkandidaten. Und ja: Das Ergebnis vom Sonntag muss auch eine CDU-Chefin erst mal sacken lassen.