Bagdad/kirkuk.

Lachend stehen die Milizionäre vor einer Wand, auf die die rot-weiß-grüne kurdische Trikolore gemalt ist. Die Sonne in der Mitte der Fahne ist ausgekratzt. Die kurdischen Soldaten, die hier stationiert waren, haben ihren Posten geräumt. Die arabischen Milizionäre feiern das wie einen kleinen Sieg. Im Norden des Irak spitzt sich der Konflikt zwischen der kurdischen Autonomieregierung und der Zentralregierung in Bagdad zu. In der Region um die Erdölstadt Kirkuk haben beide Seiten Zehntausende Soldaten und schweres Gerät zusammengezogen. Es droht schlimmstenfalls ein neuer Waffengang, diesmal zwischen denjenigen, die unlängst noch gemeinsam gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) gekämpft haben.

Das Terror-Kalifat ist kollabiert, vor Kurzem eroberte die irakische Armee zusammen mit schiitischen Milizionären mit der Stadt Hawidscha die letzte Hochburg des IS im Zweistromland. Jetzt brechen mit Wucht alte innerirakische Konflikte wieder auf. Vordergründiger Anlass ist das kurdische Unabhängigkeitsreferendum am 25. September, bei dem sich über 90 Prozent der Wähler für die Loslösung vom Irak aussprachen. International stieß die Abstimmung auf Kritik. Enge Bündnispartner der Kurden wie die USA und Deutschland warnten vor einer weiteren Destabilisierung der Region. Besonders heftig kritisierten die Türkei und der Iran das Referendum. Ankara und Teheran befürchten, dass es die Unabhängigkeitsbestrebungen der eigenen kurdischen Minderheit befeuern könnte.

Nur Israel erklärte sich bereit, Kurdistan anzuerkennen

Seit der Abstimmung am 25. September hat sich deswegen eine bemerkenswerte Allianz gebildet. Noch zu Jahresanfang hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das Mullah-Regime in Teheran heftig attackiert und vor der zunehmenden iranischen Einflussnahme in der Region gewarnt. Im Syrien-Krieg unterstützen beide Länder unterschiedliche Konfliktparteien, Teheran den syrischen Diktator Assad, Ankara islamistische Rebellen.

Gegen die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen gehen nun beide Länder gemeinsam mit dem Irak vor. Dabei haben die Regierungen in Ankara, Bagdad und Teheran eine antisemitisch grundierte Sprachregelung gefunden. Sie bezeichnen die Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden als ein „zionistisches Projekt“ mit dem Ziel der Gründung eines „neuen Israels“.

Israel ist bislang das einzige Land, das offen erklärt hat, ein unabhängiges Kurdistan anzuerkennen und zu unterstützen. „Die Kurden sind ein mutiges, prowestliches Volk, das unsere Werte teilt“, so der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu.

Die irakische Regierung verlangt die Annullierung der Abstimmung, die sie als verfassungswidrig bezeichnet. Als erste Sanktionsmaßnahme ließ Ministerpräsident Haider al-Abadi den Luftraum für internationale Flüge in die Kurdenregion sperren. Außerdem bat die irakische Regierung die Türkei und den Iran, ihre Grenzen zu schließen. Der Iran kam dieser Bitte gestern nach.

Sollten die Grenzen dauerhaft geschlossen werden, wäre das ein schwerer Schlag für die Autonomieregion. Die Kurden sind auf Lebensmittelimporte aus den Nachbarländern angewiesen. Allerdings würden auch die türkische und iranische Wirtschaft schweren Schaden nehmen. Die irakischen Kurden sind vor allem für Ankara einer der wichtigsten Handelspartner.

Besonders erbost ist die irakische Zentralregierung darüber, dass das Unabhängigkeitsreferendum auch in Gebieten durchgeführt wurde, die außerhalb der kurdischen Autonomieregion liegen, auf die die Kurden aber seit vielen Jahren Anspruch erheben. Dazu gehört die Großstadt Kirkuk, in deren Nähe eines der größten Ölfelder des Irak liegt. Die Kurden bezeichnen das auch von Turkmenen und Arabern bewohnte Kirkuk als ihr „Jerusalem“.

Als sich die irakische Armee im Sommer 2014 vor der Offensive des „Islamischen Staates“ zurückzog, rückten kurdische Truppen in Kirkuk ein. Kurze Zeit später begannen die Kurden, Öl aus Kirkuk in die Türkei zu pumpen. In den vergangenen drei Jahren war die Region immer wieder Schauplatz teils heftiger Kämpfe mit dem „Islamischen Staat“.

Um Kirkuk hat die irakische Armee jetzt Panzer und schwere Artillerie zusammengezogen. Unterstützt wird sie von Kämpfern der berüchtigten Haschd al-Schaabi, einem Verbund schiitischer Milizen, die vom Iran gesteuert werden. Kurdische Quellen berichten, dass auch iranische Revolutionsgarden bei Kirkuk eingetroffen sein sollen. Bagdad verlangt, dass die Kurden sich aus der Stadt zurückziehen und die Ölfelder übergeben.

Die Kurden wollen Kirkuk allerdings nicht kampflos aufgeben. Die Autonomieregierung hat 6000 zusätzliche Soldaten in die Stadt beordert. „Wir werden mit voller Macht zurückschlagen, sollten wir angegriffen werden“, so einer der befehlshabenden kurdischen Generäle. In Kirkuk sind in den vergangenen Tagen auch kurdische Milizionäre aus dem Iran, Syrien und der Türkei eingetroffen, um die Stadt gegen einen möglichen Angriff zu verteidigen.

Ministerpräsident Abadi hat einen Militäreinsatz gegen die Kurden mehrfach ausgeschlossen. Er steht allerdings unter enormem innenpolitischen Druck. Schiitische Politiker wie der einflussreiche irakische Vizepräsident Nuri al-Maliki fordern ein härteres Vorgehen gegen die Kurden.

Am Sonnabend besuchte der irakische Staatspräsident Fuad Masoum die kurdische Autonomieregion. Masoum, der selbst auch Kurde ist, sprach mit der Führungsspitze der beiden wichtigsten kurdischen Parteien, unter anderem mit Kurdenpräsident Masud Barzani. Die Kurden machten klar, dass sie eine Annullierung des Referendums weiterhin strikt ablehnen. Die Zeichen stehen also weiter auf Konfrontation.