Berlin.

Die persönliche Fluchtgeschichte, gesicherte Dokumente aus der Heimat, die Situation im Herkunftsland: Die Entscheidung, ob ein Asylbewerber Schutz erhält, ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Bewertet werden diese überall in Deutschland nach denselben Maßstäben, sagt das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Doch Zahlen aus allen Bundesländern, die dieser Redaktion vorliegen, werfen Fragen auf: Kann es sein, dass nicht nur das Herkunftsland die Entscheidung beeinflusst, sondern auch der Ort der Entscheidung in Deutschland?

Wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke zeigt, unterscheiden sich die Chancen von Flüchtlingen, Asyl oder eine andere Form der Aufenthaltsberechtigung zu erhalten, von Bundesland zu Bundesland. So wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres in Hamburg 48,6 Prozent der Asylanträge von Afghanen abgelehnt. In Bremen waren es im selben Zeitraum nur 34,1 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 33,1 Prozent. Deutlich zeigt sich der Unterschied auch bei den Asylgesuchen von Irakern: Während in Hamburg 39,3 Prozent negativ beschieden wurden, lag der Anteil der Ablehnungen in Bremen bei drei Prozent.

Nach Syrien sind Afghanistan und der Irak die beiden Herkunftsländer, aus denen die meisten Antragsteller kommen. Doch anders als Syrer, die in allen Bundesländern fast sicher sein können, irgendeine Form von Schutz zu erhalten, müssen Afghanen und Iraker je nach Bundesland bangen.

Große Unterschiede zwischen den Bundesländern

Rechnet man aus der Gesamtzahl der bearbeiteten Anträge jene Verfahren heraus, die aus formellen Gründen beendet werden, weil beispielsweise der Antrag zurückgezogen wurde oder ein anderer EU-Staat zuständig ist, bleibt eine „bereinigte Schutzquote“ (siehe Grafik). Für Iraker zum Beispiel liegt diese bei bundesweit 63,9 Prozent. Die Zahl umfasst alle Antragsteller, die irgendeine Form von Schutz erhalten – sei es Asyl, einen anerkannten Flüchtlingsstatus, subsidiären Schutz oder schlicht die Versicherung, nicht abgeschoben zu werden, weil die Lage im Heimatland zu gefährlich ist. Doch hinter dem Bundesdurchschnitt verbergen sich große Unterschiede: Während in Berlin in der ersten Hälfte des Jahres 50,3 Prozent der Iraker bleiben dürfen, sind es in Rheinland-Pfalz 75,7 Prozent und in Bremen sogar 96,4 Prozent. Dabei sind es immer wieder dieselben Länder, die durch besonders hohe oder besonders niedrige Quoten auffallen. So fallen in Bremen überdurchschnittliche viele Entscheidungen positiv für die Antragsteller aus, während Brandenburg und Bayern häufig das untere Ende der Skala markieren. Das BAMF liefert in der Antwort auf die Anfrage mehrere Erklärungen für diese Diskrepanzen: Zum einen bearbeiteten nicht alle Außenstellen des Amtes gleichermaßen alle Herkunftsländer, zum anderen verberge sich hinter jedem Antrag ein individuelles Schicksal, über das es zu entscheiden gelte. Zudem wird in der Statistik zwar die Nationalität der Antragsteller erfasst, nicht aber Merkmale wie Religion oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe. Diese können aber, so die Behörde, durchaus entscheidend sein für den Ausgang eines Verfahrens. Auch Kenner des BAMF heben hervor, dass jede Entscheidung über Asyl ein Einzelfall sei. Jedes Schicksal werde individuell angehört, manchmal würden die Asyl-Interviews mit den Entscheidern des BAMF sehr unterschiedlich verlaufen, die Geschichten der Flüchtlinge seien zudem ganz verschieden. Es könne daher auch keine einheitlichen Anerkennungsquoten quer durch die Republik geben.

Und doch heißt es auch, dass regelmäßig durch die „Controlling“-Abteilung des BAMF die „Performance“ der einzelnen Außenstellen geprüft werde. Wie hoch die Anerkennung oder die Ablehnung von Anträgen sei, hänge auch von den Referatsleitern der BAMF-Außenstelle ab. Und davon, welche Richtlinien diese an ihre Mitarbeiter weitergeben würden. Gibt ein Referatsleiter positive Entscheidungen über einen Asylantrag häufig an Mitarbeiter zur erneuten Prüfung zurück, wirke sich dies langfristig auch auf die Härte der Asylentscheidungen in einer Außenstelle aus, heißt es. Zeigen sich auffällige Anerkennungsquoten in einer Außenstelle, gebe es zudem Gespräche mit den BAMF-Verantwortlichen in der Nürnberger Zentrale. So sind nach Informationen dieser Redaktion mehrere Leiter bereits versetzt worden, weil ihre „Performance“ nicht gestimmt habe, etwa in Bremen, Karlsruhe und Trier. Das Bundesamt äußerte sich bis zum Redaktionsschluss dieser Zeitung nicht zu diesen Vorwürfen.

Unterschiede von einem Bearbeiter zum nächsten

„Die Praxis zeigt, dass die Entscheidungen von Außenstelle zu Außenstelle und sogar von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter sehr unterschiedlich sein können“, sagt Heiko Habbe, Jurist bei der kirchlichen Beratungsstelle „fluchtpunkt“ in Hamburg. Zwar habe das BAMF Leitlinien für jedes Herkunftsland verfasst, nach denen bundesweit entschieden werden soll. Doch nicht immer könnten sich Antragsteller darauf verlassen, dass danach entschieden werde. „Die bekannten Probleme des BAMF – Entscheider, die sich mit der Situation in den Herkunftsländern nicht auskennen, Probleme bei der Übersetzung – sind in den letzten zwei Jahren leider nicht besser geworden“, sagt Habbe, „sondern haben sich noch verschärft.“

Die Linken-Abgeordneten Jelpke sieht die Unterschiede in den Schutzquoten mit Besorgnis. „Beim BAMF handelt es sich um eine Bundesbehörde, die Chancen für eine Anerkennung sollten deshalb bundeseinheitlich gleich sein“, so Jelpke. Stattdessen zeige sich, dass einige Bundesländer immer wieder negativ vom Bundesschnitt abwichen. „Es darf aber nicht sein“, sagte Jelpke, „dass afghanische Flüchtlinge beispielsweise in Brandenburg oder Bayern nur etwa halb so große Chancen auf einen Schutzstatus haben wie Bremen.“