Berlin/Hannover.

Vor zwei Monaten sah es nicht gut aus für Stephan Weil. Damals verlor die rot-grüne Koalition des niedersächsischen Ministerpräsidenten überraschend ihre Mehrheit; eine Grünen-Abgeordnete im Landtag in Hannover war zur CDU übergelaufen. Stephan Weil galt als Regierungschef auf Abruf. Vor dem Hintergrund eines schlecht laufenden Bundestagswahlkampfs galten die Sozialdemokraten auch in Niedersachsen als Verlierer. Davon ist nun keine Rede mehr.

Wenige Tage vor der vorgezogenen Landtagswahl am kommenden Sonntag schießen die Umfragewerte für die SPD zwar nicht in den Himmel. Die Partei hat sich aber von dem Schock im Sommer erholt. Sie erhält aktuell wieder so viel Zustimmung wie bei der Wahl vor viereinhalb Jahren. Noch wichtiger aus Weils Sicht: Der Höhenflug der CDU ist gestoppt, ihr Vorsprung ist zusammengeschmolzen. Beide Volksparteien liegen jetzt gleichauf. Das Meinungsforschungsinstitut INSA erkennt sogar einen leichten Vorsprung für die SPD. Die Wahl, die eigentlich erst im Januar hätte stattfinden sollen, ist noch überhaupt nicht entschieden.

Ein Sieg der Sozialdemokraten würde Martin Schulz stützen

Dass die beiden großen Parteien nah beieinanderliegen, ist in Niedersachsen nicht ungewöhnlich. Das Land ist weder eine Hochburg der Union noch der SPD. Gerade das aber macht den ersten Stimmungstest nach der Bundestagswahl so interessant: Gelingt Weil ein Sieg, würde das den angeschlagenen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz stabilisieren. Schulz wird von Weil gestützt und macht kräftig Wahlkampf in Niedersachsen. Andererseits wäre es ein Dämpfer für die CDU, könnte sie den für sicher gehaltenen Regierungswechsel nicht schaffen.

Während die SPD in Hannover relativ schnell von der Regierungstätigkeit in den Wahlkampf umschalten konnte, läuft es bei der CDU nicht rund. Ihr Spitzenkandidat Bernd Althusmann ist noch immer wenig bekannt und wenig beliebt. Je nach Umfrage will ihn nur jeder dritte oder sogar nur jeder vierte Niedersache als Ministerpräsidenten sehen; bei Weil ist es etwa jeder zweite. Althusmann und seine Wahlkampftruppe, das „A-Team“, kämpfen zudem mit zahlreichen Pannen. Mal verpasst der Kandidat einen Fernsehauftritt, weil er zum falschen Studio fährt. Mal sagt er eine Pressekonferenz ab, weil sie am Brückentag vor dem Tag der Deutschen Einheit niemanden interessiert hätte. Auch bei der Abstimmung zwischen Partei und Landtagsfraktion hakt es. Am heutigen Dienstag treffen beide Kandidaten das erste und einzige Mal im Fernsehduell aufeinander.

Der SPD hingegen scheint es zu gelingen, die umstrittene Rolle der Landesregierung bei der Aufarbeitung des VW-Skandals vergessen zu machen und eine Affäre um die Vergabe von Werbeaufträgen der Landesregierung auszusitzen. Die Achillesferse von Weils Regierung ist die Bildungspolitik. Sie wird von den Wählern als Hauptproblem identifiziert und ist ihnen – noch vor dem Thema Flüchtlinge – mit deutlichem Abstand am wichtigsten. Alles in allem scheint es aber keine echte Wechselstimmung zu geben. Fast die Hälfte der Niedersachsen will weiter eine SPD-geführte Landesregierung.

Die eigentlich spannende Frage ist deshalb, welche Koalition künftig in Hannover regieren könnte. Weil die Grünen wohl weniger stark sein werden als vor viereinhalb Jahren, dürfte es für Rot-Grün nicht mehr reichen. Sollten es die Linken wieder in den Landtag schaffen, wäre theoretisch ein rot-rot-grünes Bündnis denkbar. Ministerpräsident Weil schließt es nicht aus, betont aber, er wünsche sich nicht, dass die zerstrittene Linke wieder in den Landtag kommt. Eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP wiederum haben die Liberalen bereits mit großer Deutlichkeit ausgeschlossen.

Eine große Koalition unter Führung der SPD erscheint derzeit noch am wahrscheinlichsten, auch wenn sie von keiner der beiden großen Parteien gewünscht wird – vor allem nicht, weil die SPD sie auf Bundesebene gerade für beendet erklärt hat. Das Jamaika-Bündnis, an dem Union, FDP und Grüne derzeit in Berlin arbeiten, ist zwar auch in Hannover denkbar, dürfte aber ähnlich schwierig werden. Gerade in der Landwirtschaftspolitik trennen Grüne und CDU Welten. Außerdem ist das Verhältnis wegen des Fraktionswechsels der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten belastet. Der Ton zwischen beiden Parteien im Wahlkampf ist scharf.

Der AfD wird es offenbar gelingen, erstmals in den Landtag in Hannover einzuziehen. Schlagzeilen macht die Partei derzeit damit, dass die Staatsanwaltschaft Lüneburg untersucht, ob Landeschef Paul Hampel, der auch im Bundestag sitzt, seine Partei betrogen hat. Er soll Kosten für einen Wahlwerbespot zweimal abgerechnet haben. Hampel nannte den Vorwurf „absurd“.