Berlin. AKP-Politiker attackiert Grünen-Chef. Özdemir fordert die Freilassung der deutschen Geiseln. Menschenrechtler Steudtner drohen 15 Jahre Haft in der Türkei

Eine mögliche Ernennung von Grünen-Chef Cem Özdemir zum Bundesaußenminister eines Jamaika-Bündnisses stößt in der türkischen Regierungspartei AKP auf große Skepsis. „Dann hätten wir möglicherweise verschenkte Jahre vor uns“, sagte der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu der dpa mit Blick auf die bilateralen Beziehungen. „Cem Özdemir wird in der Türkei nicht als Botschafter Deutschlands wahrgenommen, sondern als jemand, der türkische Innenpolitik betreiben möchte.“

Der Grünen-Chef ist ein scharfer Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Für den Fall, dass die Grünen in Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP das Amt des Außenministers erhalten, gilt Özdemir als Favorit. Yeneroglu sagte: „Ich glaube, dass sich Erdogan schon aus realpolitischen Gründen bemühen würde, Özdemir als Repräsentanten Deutschlands eine Chance zu geben.“ Das hänge aber davon ab, ob der Grünen-Chef – der Erdogan einen „AKP-Diktator“ und einen „Geiselnehmer“ genannt hat – nach einer Ernennung zum Außenminister Deutschlands seine Haltung ändere. „Wenn er vor einem möglichen Türkei-Besuch so unqualifizierte Äußerungen wie in der Vergangenheit von sich gibt, wird er nicht willkommen sein.“

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu spielte die Bedeutung der Nachfolge von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) im „Spiegel“ herunter. „Es wäre falsch, die Beziehung zwischen zwei Ländern über Einzelpersonen zu definieren“, sagte er auf eine Frage nach Özdemir. „Wer auch immer als Bundesaußenminister in die Türkei kommt, wir lassen ihm den gleichen Respekt zukommen, der uns entgegengebracht wird.“

Özdemir selbst nannte die Freilassung der Deutschen, die aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen sitzen, als Voraussetzung für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Berlin und Ankara. „Es liegt jetzt an der Türkei, die deutschen Geiseln freizulassen und keine neuen mehr zu nehmen“, sagte Özdemir dieser Zeitung. Eine solche Praxis dürfe es nicht geben zwischen befreundeten Ländern. „Wenn dieses Problem gelöst ist, kann man auch wieder über andere Themen reden.“ Özdemir entgegnete Cavusoglu: „Ich begrüße die neuen Töne aus Ankara. Sie sind aber auch eine Reaktion auf die Entschlossenheit in Berlin.“ Die Türkei merke, welche Nachteile es habe, wenn Hermes-Bürgschaften eingeschränkt würden, deutsche Touristen ausblieben und die Zollunion nicht ausgeweitet werde. Der Grünen-Chef rief Ankara auch dazu auf, die „absurde Warnung vor Reisen nach Deutschland“ aufzuheben.

Steudtner sitzt wie Yücel im Gefängnis Silivri

Unterdessen droht dem inhaftierten deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner eine lange Haftzeit. Die türkische Staatsanwaltschaft fordert nach laut CNN Türk 15 Jahre Haft. Steudtner, seinem schwedischen Kollegen Ali Ghravi und neun weiteren Menschenrechtlern würden Unterstützung und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen. Die Anwälte betätigten auf Anfrage, dass die Anklageschrift zugestellt wurde, konnten jedoch zunächst keine Angaben zum Strafmaß machen. Steudtner, Gharavi und acht türkische Menschenrechtler waren am 5. Juli bei einem Seminar in Istanbul festgenommen worden. Sie sitzen im Gefängnis Silivri westlich von Istanbul ein, in dem auch der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel inhaftiert ist.