Manchester/Berlin. Auf dem Parteitag der Konservativen räumt die britische Premierministerin Fehler ein. Außenminister Boris Johnson hält eine verkleidete Bewerbungsrede

Die Frau im dunkelblauen Kleid gibt sich ungewohnt demütig. „Ich übernehme die Verantwortung, ich habe den Wahlkampf angeführt, es tut mir leid.“ Theresa May, die britische Premierministerin und Chefin der Konservativen, steht am Rednerpult und entschuldigt sich für die schiefgelaufene Parlamentswahl im Juni. Sie hatte damals Neuwahlen angesetzt, auf eine überwältigende Mehrheit spekuliert und die Stimmung im Land völlig falsch eingeschätzt. Es ist der Abschluss dieses viertägigen Tory-Parteitags in Manchester. Mays Kehle klingt trocken, ihre Körpersprache ist defensiv. Kein Vergleich mit der noch vor einem halben Jahr triumphal auftretenden Bannerträgerin des Brexit, die mit schneidendem Ton für den Austritt ihres Landes aus der EU getrommelt hatte.

Mehrfach droht die Regierungschefin ihre Stimme zu verlieren. Und dann auch noch das: Plötzlich nähert sich ein Mann der Bühne und will ihr ein P45-Formular überreichen, das gewöhnlich bei Entlassungen ausgehändigt wird. Es handelt sich um den Komiker Simon Brodkin, der einst den ehemaligen Boss des Fußball-Weltverbandes Fifa, Joseph Blatter, mit Dollarscheinen beworfen hatte. Und es brachen einige Buchstaben aus dem Parteislogan „Ein Land aufbauen, das für jeden funktioniert“, der hinter May an der Wand prangte.

Herausforderungen für May hatte es auf dem Parteitag durchaus gegeben. Besonders von ihrem Außenminister Boris Johnson, der wegen seines Haarschopfs und seiner Neigung zur Intrige auch das „blonde Gift“ genannt wird. Johnson hatte es gewagt, in einem Interview vier rote Linien beim Brexit zu ziehen, die den Verhandlungsspielraum für die Premierministerin einengen würden. Schon in früheren Interventionen hatte der Außenminister die Autorität von May herausgefordert und war bis an die Grenzen der Illoyalität gegangen. In seiner Rede am Dienstag pries Johnson die Premierministerin. Wie immer, wenn er zu den Delegierten spricht, war der Saal voll und die Reaktion des Publikums enthusiastisch. Seine Rede war eine als Loyalitätsadresse verkleidete Bewerbung um den Top-Job in Downing Street 10. Allein durch seinen Erfolg beim Parteivolk stellt er eine Gefahr für May dar, weil er demonstriert, um wie viel besser er in der politischen Ansprache ist als die oft hölzern wirkende May.

Am Dienstagabend leistete sich Johnson aber wieder einmal einen verbalen Ausrutscher. Die libysche Stadt Sirte, betonte er, könne zu einem blühenden Dubai werden. Britische Geschäftsleute wären bereit, dort zu investieren. „Sie müssen nur die Leichen wegräumen“, sagte Johnson, und er musste dabei tatsächlich lachen. Die geschmacklose Bemerkung wurde scharf kritisiert. Kriegsopfer als Unannehmlichkeiten für Geschäftsleute darzustellen, sei „unglaublich krass, kaltblütig und grausam“, wetterte Labours außenpolitische Sprecherin Emily Thornberry. Auch Johnsons Parteifreundin Heidi Allen hielt das für „100 Prozent inakzeptabel“.

Es ist nicht nur der Außenminister, der in Manchester als möglicher Nachfolger von May gehandelt wurde. Da ist auch noch der Ultrakonservative Jacob Rees-Mogg, ein Mann mit akkurat gescheiteltem Haar und Nickelbrille. Der Millionär und strenggläubige Katholik ist der neue Star der Brexit-Befürworter. Er positioniert sich als radikaler Abtreibungsgegner und prahlt damit, noch nie eine Windel bei einem seiner sechs Kinder gewechselt zu haben. Das Magazin „Economist“ schrieb kürzlich über Rees-Mogg, er sei geistig den 50er-Jahren verhaftet – aber den 1850er-Jahren. Doch trotz oder gerade wegen seiner altmodischen Gesinnung rangiert der 48-Jährige unter den Tory-Anhängern auf Platz zwei für den Posten des Parteichefs – direkt hinter Johnson.

Mays Gegner lauern, aber sie trauen sich noch nicht aus der Deckung. Die Premierministerin ist angeschlagen, muss dennoch derzeit keinen Putsch fürchten. Es gibt kaum jemanden, der öffentlich ihren Rücktritt fordert. Viel zu groß wäre die Gefahr, dass es zu Neuwahlen kommt und Labour-Chef Jeremy Corbyn in Downing Street 10 einzieht.