Berlin. In Deutschland wächst die Bevölkerung bis 2035 deutlich an. Vor allem Großstädte profitieren davon

Jung, jünger, Hamburg: In wenigen Jahren wird kein anderes Bundesland so jugendlich sein wie die Hansestadt. Gemessen am Anteil der Menschen unter 20 Jahren wird die Stadt die Länder-Rangliste anführen, wie eine neue Studie prognostiziert. Gleichzeitig wächst Hamburg auch insgesamt deutlich an: Im Jahr 2035 dürfte die Elbmetropole die Zwei-Millionen-Marke erreichen. Mit einem Plus von neun Prozent kann Hamburg nach Berlin mit dem zweitgrößten Bevölkerungszuwachs rechnen. Doch nicht nur Hamburg wächst voraussichtlich um mehr als 160.000 Einwohner, in ganz Deutschland steigt der Studie zu Folge die Bevölkerungszahl.

Jahrelang sahen Zukunftsszenarien für Deutschland immer einen deutlichen Rückgang der Bevölkerung voraus. Doch es könnte anders kommen.

Nach einer Untersuchung des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die dieser Redaktion vorliegt, bleibt dieses Szenario aus. Stattdessen werden im Jahr 2035 sogar rund eine Millionen Menschen mehr in der Bundesrepublik leben. Die IW-Forscher rechnen damit, dass in 18 Jahren 83,1 Millionen Personen hierzulande zuhause sind. Zum 30. Juni 2016 lebten in Deutschland laut Statistik 82,3 Millionen Menschen – eine neuere Zahl liegt seitens des Statistischen Bundesamtes aufgrund von Änderungen bei der Datensoftware noch nicht vor.

Den Grund für die Zunahme führen die Experten vor allem auf die Rekordzuwanderung im Jahr 2015 zurück. Wenn man Ein- und Auswanderung in dem Jahr der Flüchtlingskrise gegenüberstellt, so blieben de facto 1,1 Millionen Personen in Deutschland. Bereits 2014 lag dieser so genannte Wanderungssaldo mit 550.000 Personen deutlich oberhalb des Durchschnitts der letzten beiden Jahrzehnte. Und auch künftig, so rechnen jedenfalls die IW-Experten, dürfte die Zuwanderung höher ausfallen als in früheren Jahren erwartet.

Die Geburtenzahl steigt, die Zuwanderung bleibt stark

Ein zweiter Grund: Bereits seit einigen Jahren verzeichnet Deutschland mehr Kinder. Die Geburtenziffer erreichte im Jahr 2015 erstmals seit 1982 den statistischen Wert von 1,5 Kindern je Frau. Damit geht eine Phase von 30 Jahren zu Ende, in der sich die Quote kinderloser Frauen von elf auf 21 Prozent fast verdoppelt hatte. In den alten Bundesländern und unter gut ausgebildeten Frauen war sie am höchsten.

Doch die Menschen werden sich nicht gleichmäßig über das Land verteilen. Die Forscher sehen deutliche regionale Vorlieben. Davon profitieren neben Berlin und Hamburg auch Großstädte wie München. Die bayerische Landeshauptstadt wächst demnach noch stärker als Hamburg: Die Forscher prognostizieren ein Plus von 14,4 Prozent bis 2035 Eine Entwicklung, die nicht ohne Folgen bleibt: Der Wohnungsmarkt und die Infrastruktur einer Stadt, also etwa der öffentliche Nahverkehr, können mit dieser Entwicklung kaum Schritt halten, warnen die Forscher.

Schaut man von den Stadtstaaten auf die Flächenländer, so ist Bayern das Bundesland mit dem höchsten Bevölkerungsanstieg, gefolgt von Baden-Württemberg. Die Gründe: Bayern profitiert von der positiven Bevölkerungsentwicklung in München, Baden-Württemberg zählt zu den Regionen Europas mit der stärksten Wirtschaftskraft. Das bedeutet Arbeitsplätze – ein wichtiger Punkt, wenn es um die Beliebtheit von Standorten geht.

Zu den Bundesländern, in denen die Einwohnerzahl weitgehend konstant bleiben dürfte, gehören unter anderem das bevölkerungsreichste Nordrhein-Westfalen, aber auch Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bremen. Auch die Einwohnerzahl Schleswig-Holsteins verändert sich der Prognose zufolge bis 2035 kaum. Demnach sollen im Vergleich zu 2015 im Jahr 2035 rund 0,1 Prozent weniger Einwohner und damit insgesamt etwa 2,9 Millionen Menschen im nördlichsten Bundesland leben.

Anteil der erwerbsfähigen Menschen geht überall zurück

Im Osten sieht das anders aus: Vor allem Thüringen und Sachsen-Anhalt verlieren weiter deutlich an Bevölkerung. „Beide Bundesländer erfuhren in der Vergangenheit eine hohe Abwanderung ihrer jungen Bevölkerung, vor allem von Frauen“, so IW-Forscher Philipp Deschermeier. Allerdings habe sich diese Entwicklung inzwischen etwas abgeschwächt. Ein Trend gilt auch für die ostdeutschen Bundesländer: Es wandern zunehmend mehr Menschen in Richtung Großstädte, beispielsweise in das stetig wachsende Leipzig, mittlerweile die zehntgrößte Stadt Deutschlands.

Eine Herausforderung trifft das gesamte Bundesgebiet: Der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter geht überall zurück – in den Städten und auf dem Land. Dahinter verberge sich im Wesentlichen die Alterung der so genannten Babyboomer¬Generation, die bis 2035 mehrheitlich das Rentenalter erreicht haben wird, erklärt Deschermeier.

Diese Entwicklung vollziehe sich in den einzelnen Bundesländern jedoch unterschiedlich. So falle der Rückgang der Menschen im Alter zwischen 20 und 67 Jahren bis 2035 in den Stadtstaaten vergleichsweise gering aus. In Hamburg etwa geht der Anteil der Menschen im mittleren, erwerbsfähigen Alter von rund 65 Prozent auf etwa 60 Prozent zurück. In Schleswig-Holstein fällt der Rückgang sogar noch geringer aus: Hier rechnen die Forscher mit einer Abnahme von rund drei Prozent - von heute 61 Prozent auf 58 Prozent im Jahr 2035.

In Sachsen-Anhalt dagegen wird der Anteil der erwerbsfähigen Personen im Jahr 2035 fast zwölf Prozent niedriger sein als 2015. Umgekehrt wird hier der Anteil der Senioren stark anwachsen: Auf 33 Prozent der Bevölkerung – gegenüber 22 Prozent im Jahr 2015.