Berlin.

Ihre Amtszeit als Bundesratspräsidentin gipfelt in der Einheitsfeier am 3. Oktober in Mainz: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) warnt davor, den Aufstieg der AfD als Ost-Problem zu sehen – und hält es für ausgeschlossen, dass sich die Sozialdemokraten doch noch zu Koalitionsgesprächen mit der Union bereitfinden.

Frau Dreyer, Sie bereiten die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit vor. Wie ist Ihnen dabeizumute?

Malu Dreyer: Wir haben allen Grund, den Tag der Deutschen Einheit zu feiern und auch stolz darauf zu sein, was geleistet worden ist. Natürlich ist das Ergebnis der Bundestagswahl schmerzlich. Aber ich halte es für verfehlt, daraus eine Debatte zu machen, ob der Osten und der Westen richtig zusammengewachsen sind.

27 Jahre nach der Wiedervereinigung ist die AfD im Osten zur zweitstärksten Kraft geworden. Worauf führen Sie den Aufstieg der Partei am rechten Rand zurück?

Es gibt hier keine eindimensionalen Erklärungen. Die AfD fordert uns alle heraus – im Osten wie im Westen. Viele Menschen haben Abstiegsängste. Andere haben das Gefühl, nicht mehr Schritt halten zu können mit den schnellen Entwicklungen unserer Gesellschaft: dem rasanten technischen Fortschritt und den Auswirkungen der Globalisierung. Wieder andere haben keine Aussichten auf feste Jobs und gute Renten. Die SPD hat ein sehr gutes Programm vorgelegt, das vieles von dem anspricht.

Die SPD ist auf 20,5 Prozent abgestürzt, ein historisches Tief. So gut können Ihre Antworten nicht gewesen sein.

Wir haben eine ganz bittere Wahlniederlage erlitten und müssen uns damit auseinandersetzen. Leider konnte die SPD offensichtlich nicht durchdringen damit, wie sie Deutschland fit macht für die Zukunft und dafür sorgt, dass dabei niemand hinten runterfällt. Vielleicht war es ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil wir auch im Wahlkampf stark verbunden wurden mit der großen Koalition, von der sich viele Menschen abgewandt haben.

Das spricht nicht unbedingt für den Kanzlerkandidaten.

Martin Schulz konnte die Menschen sehr klar und sehr direkt ansprechen – und er hat sehr viele Leute auch erreicht. Wegen Martin Schulz treten immer noch sehr viele Menschen in die SPD ein. Trotzdem muss man feststellen, dass wir insgesamt nicht durchgedrungen sind.

Woran liegt das, wenn nicht an Schulz?

Unser Wahlkampf war sehr kurz. In einem halben Jahr konnten wir nicht alles vermitteln, was wichtig war. Der Frust über die große Koalition ist enorm. Deswegen konnten wir offensichtlich nicht deutlich und nicht glaubwürdig genug vermitteln, dass die SPD für einen anderen, für ihren eigenen Kurs steht. An den Infoständen haben uns die Leute gesagt: „Ihr geht ja doch wieder in die große Koalition.“ Schulz hat immer gesagt, dass er für sich und für eine starke SPD steht.

Macht die Sozialdemokratie den nächsten Fehler, wenn sie ihre Schlagkraft in einer Doppelspitze teilt?

Ich finde eine Doppelspitze klug. An­drea Nahles und Martin Schulz verstehen sich sehr gut: Viele Ideen, die Martin Schulz im Wahlkampf vertreten hat, stammen aus der Zusammenarbeit mit Andrea Nahles. Vor nicht einmal einem halben Jahr haben wir Martin Schulz mit 100 Prozent zum Parteichef gewählt, deswegen ist es ein gutes Signal, dass er gemeinsam mit anderen den Aufbruch gestalten will.

Nahles ist als Fraktionsvorsitzende mit einer besonderen Art der Kampfansage an die Union gestartet: „Und ab morgen kriegen sie in die Fresse.“ Diese Wortwahl kennt man sonst eher von der AfD ...

Andrea Nahles hat sich dazu erklärt, sie hat diesen Satz bedauert. Mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen.

Hat Nahles das Format, einmal Bundeskanzlerin zu werden?

Diese Frage stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht. Wir diskutieren über unsere Rolle in der Opposition – und die Erneuerung der SPD. Wir wollen nicht auf Dauer um die 20 Prozent liegen, und wir wollen auch nicht auf Dauer in der Opposition bleiben. Wir wollen wieder Regierungspartei werden, und zwar als stärkste Kraft. Damit haben wir gut zu tun in nächster Zeit.

Sollte nicht jeder Oppositionsführer ein möglicher Kanzlerkandidat sein?

Alle Personen in Spitzenpositionen der SPD kommen für die nächste Kanzlerkandidatur in Betracht.

Ist die Haltung unumstößlich, dass die SPD in der kommenden Wahlperiode keine Regierungsverantwortung übernimmt?

Ja, diese Festlegung ist unumstößlich. Wir haben am Wahlabend eine einvernehmliche, glasklare Entscheidung getroffen: Die SPD geht in die Opposition. 20,5 Prozent sind kein Wählerauftrag, um eine Regierungsbildung anzustreben. Eine große Koalition ist ohnehin immer nur eine Notlösung. Sie stärkt die politischen Ränder – und schadet der Demokratie.

Bei Union, FDP und Grünen gibt es erhebliche Zweifel, ob Jamaika zustande kommen kann – und die SPD stiehlt sich aus der Verantwortung.

Das ist Unsinn. Der Regierungsauftrag geht ganz klar an die CDU/CSU. Jetzt muss sie ihn auch umsetzen. Im Wahlkampf haben FDP und Grüne klar zur schwarzen Ampel geblinkt, jetzt müssen sie auch den Wählerauftrag ernst nehmen und Verantwortung übernehmen. Die Aufgabe der SPD ist es auch nicht, der CDU zu helfen, wenn CDU und CSU sich inhaltlich nicht einigen können. Das ist doch das eigentliche Hindernis bei der Bildung einer neuen Koalition. Die schwarze Ampel ist ja eine Vierer- und keine Dreierkoalition.

Also eher Neuwahlen, als mit Angela Merkel zu sprechen?

Darum geht es nicht. Ich bin Chefin eines Dreierbündnisses aus SPD, Grünen und FDP in Rheinland-Pfalz. Die Regierungsbildung war auch nicht einfach – aber sie ist gelungen.

Der letzte sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich jetzt zum Aufsichtsratsvorsitzenden des staatlichen russischen Ölkonzerns Rosneft wählen lassen. Wie wirkt sich das auf die Perspektiven der SPD aus?

Das ist seine persönliche Entscheidung. Ich würde das anders machen als Gerhard Schröder. Aber ich glaube nicht, dass seine neue Aufgabe in Russland die Wahlchancen der SPD beeinträchtigt.