Berlin. In der Union und der SPD melden sich die Altvorderen zu Wort, und bei den Linken führen sie die eigentliche Kursdebatte

Kurt Beck kann gut verstehen, dass die SPD keine große Koalition eingehen will, „absolut ja“. Die SPD-Führung hätte sich selbst „einen Bärendienst erwiesen“, wenn sie eine Unklarheit gelassen und die Spekulationen über eine Koalition befeuert hätte, sagte der frühere Parteichef unserer Zeitung. Es gebe auch einen staatspolitischen guten Grund dafür, dass eine Volkspartei die Regierung und die andere die Opposition anführe. Das tue der Diskussionskultur gut. Der Ex-Vorsitzende ist nicht einzige aus der Riege der Altvorderen, der sich nach der Bundestagswahl zu Wort meldet – nicht nur in der SPD.

Becks Amtsvorgänger und -nachfolger Franz Müntefering kritisiert, dass die Führung von Partei und Fraktion jetzt getrennt werden sollen; beides in einer Hand hätte Müntefering besser gefunden. Altkanzler Gerhard Schröder lässt auch Zweifel anklingen. Er wisse nicht, „ob es vernünftig war“, eine große Koalition auszuschließen, erklärte er. Für den soeben erst abgelösten Fraktionschef Thomas Oppermann ist das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen. Für den Fall, dass es „Staatsnotstand“ gebe, müsse die SPD neu überlegen.

In der Linkspartei streiten Altvordere über den Kurs: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Es geht um die Flüchtlingsfrage. Gysi warnte Lafontaine, eine Abkehr vom Kurs wäre das Ende einer linken Partei.

In der CSU sind Senioren ebenfalls gefragt. Ex-Parteichef Erwin Huber empfiehlt der heutigen Führung „mehr Nachdenklichkeit, auch mehr Demut“, allen voran CDU-Chef Horst Seehofer. Edmund Stoiber zählt zwar auch zu Seehofers Ahnengalerie, hat sich aber bereits in den vergangenen zwei Jahren immer wieder aktiv in die Parteipolitik eingemischt; ganz so, als hätte er nie aufgehört. Er gibt Seehofer zu bedenken, „dass die Partei die Durchsetzung einer Obergrenze erwartet“. Stoiber interpretiert den Ehrenvorsitz neu; vielleicht verwechselt er auch bloß die Ehre und den Vorsitz.

Der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, Präsidiumsmitglied der CDU, macht seiner Partei Mut vor den Gesprächen über eine Jamaika- Koalition. Er spricht von einem „Neuanfang“. Der CDU rät er, die AfD-Wähler nicht pauschal abzuschreiben: „Sie sind Protestwähler und mehrheitlich keine Extremisten“, sagte Rüttgers dieser Zeitung. „Um sie zurückzugewinnen, muss man sie von den Rechtspopulisten und Radikalen an der Spitze der AfD trennen“, so Rüttgers.

Dass die Älteren den Jungen zeigen wollen, wo es lang geht, ist nicht neu. Seit Anfang der 90er Jahre gibt es einen Begriff dafür: den „Bellheim-Effekt“, benannt nach einem Dieter-Wedel-Film, in dem ein pensionierter Manager (der große Bellheim) die Kontrolle seiner Firma wieder an sich reißt. Apropos: Wo ist eigentlich Joschka Fischer?