Berlin.

Sie gilt als der Knackpunkt für Koalitionsverhandlungen: die Obergrenze. Die CSU will die Aufnahme von Flüchtlingen auf 200.000 im Jahr begrenzen – die anderen Parteien sind dagegen. Wieso ist die Obergrenze für die CSU so wichtig, wie viel Verhandlungsspielraum hat Parteichef Horst Seehofer und wie realistisch ist ein Kompromiss?

Ein Blick auf die Landkarte des Freistaates erklärt viel. Ihre besten Ergebnisse erzielte die AfD im Alpenvorland. In den Grenzregionen, die 2015 mit der größten Wucht den Ansturm der Flüchtlinge gespürt haben, war die Partei die zweitstärkste Kraft nach der CSU. Es ist die Region, die schon heute mit Grenzkontrollen leben muss. Wenn Seehofer sich die AfD auf Distanz halten will, sollte er auf die Obergrenze pochen.

Solange sich die Union nicht geeinigt hat, stehen die eigentlichen Bündnisgespräche mit Grünen und FDP über eine Jamaika-Koalition hintan. Die ersten Sondierungsgespräche mit der CDU sind für den 8. Oktober geplant. Generell besteht Einigkeit darüber, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen darf, und dass der Flüchtlingszustrom eingedämmt werden soll. Vermutlich wird so eine Formulierung Eingang in den Koalitionsvertrag finden. Auf EU-Ebene wird über Kontingente für Flüchtlinge verhandelt. Sie sind im Ergebnis Obergrenzen für einzelne Nationen.

Die Kanzlerin will von einer starren Zahl nichts wissen, kann Seehofer allerdings andere Zugeständnisse machen, vorneweg der CSU mit dem Innenministerium eine operative Schaltstelle der Flüchtlingspolitik anbieten. Die Position läuft auf den bayrischen Minister Joachim Herrmann zu, der in Berlin darauf achten würde, dass die Zahl der Zuwanderer wirklich unter 200.000 bleibt. Da kann er auf die Hilfe der Kanzlerin zählen. Sie versprach, sich in Europa dafür einzusetzen, dass die Grenzkontrollen nach Österreich beibehalten werden. Das wäre eine Voraussetzung für eine Obergrenze. Die andere wäre eine konsequente Abschiebung. Auch da ist Merkel an der Seite der CSU. Eine weitere Maßnahme zur Begrenzung wäre die Einschränkung des Familiennachzugs. Bis März 2018 ist er für die Flüchtlinge mit geringerem Schutz ausgesetzt. Bisher hielt sich die Kanzlerin bedeckt, aber ihr bisheriger Innenminister Thomas de Maizière will daran festhalten.

Wenn die Grenzen kontrolliert und abgelehnte Asylbewerber abgeschoben, gleichzeitig Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten zurückgewiesen werden, wäre sichergestellt, dass der jährliche Zustrom unter 200.000 bleibt. Trotzdem will sich Seehofer nicht mit dem Verweis auf die Praxis begnügen – er will die Obergrenze. Vorsorglich will er Merkel zum CSU-Parteitag Mitte November einladen und an eine Tradition anknüpfen, die 2016 unterbrochen wurde. Eine Einladung an Merkel wird in den nächsten Tagen erfolgen. Sollte die CDU-Chefin sie annehmen, muss sie den Delegierten den Diskussionsstand erläutern, ihre Position zur Obergrenze verteidigen. Beim letzten Auftritt auf einem CSU-Parteitag Ende 2015 wurde Merkel auf offener Bühne abgekanzelt.