Berlin.

In der hintersten Reihe des Plenarsaals im Bundestag stand in der gerade vergangenen Wahlperiode ein einzelner Stuhl. Dort saß die ehemalige CDU-Abgeordnete Erika Steinbach – ohne Mikrofon, ohne Tisch und nach ihrem Austritt aus der Partei vor allem ohne Fraktion. Ob Frauke Petry, die bis jetzt einzige fraktionslose Abgeordnete im neuen Bundestag, in Zukunft auf Steinbachs Platz sitzen wird, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass sie ebenso wie Steinbach in ihren letzten Monaten im Parlament isoliert sein wird.

Petry hatte am Montag verkündet, nicht Teil der neuen AfD-Fraktion im Bundestag sein zu wollen – einen Tag, nachdem sie als Bundessprecherin der Partei ihren Wahlkreis im Osten Sachsens direkt gewonnen hatte. Am Dienstag legte sie zudem ihr Amt als Fraktionsvorsitzende der AfD im sächsischen Landtag nieder und erklärte, auch die Partei verlassen zu wollen. Ihre Mandate, sowohl im Bundestag als auch im sächsischen Landesparlament, will sie allerdings behalten.

Gemeinsam mit Petry kündigte auch Ehemann Marcus Pretzell, bislang AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der dortigen Landtagsfraktion, an, Partei und Fraktion verlassen zu wollen. Im Landtag will allerdings auch er bleiben – genauso wie im Europa-Parlament, wo er seit 2014 Abgeordneter ist.

Es ist ein in der Geschichte der Bundesrepublik beispielloser Vorgang: Zwei Abgeordnete, die ohne Fraktion und Partei nicht nur einem, sondern jeweils zwei Parlamenten angehören werden. Das bedeutet auch: Mehrfach-Bezüge, Mehrfach-Kostenpauschalen, Mehrfach-Budgets für Mitarbeiter. So wird Frauke Petry als Bundestagsabgeordnete – neben einer Bahncard 100 und der Möglichkeit, den Fahrdienst des Bundestags zu nutzen – monatlich 9541,74 Euro beziehen. Die 5668,16 Euro, die sie nach ihrem Rücktritt von der Fraktionsspitze als einfache Abgeordnete im sächsischen Landtag bekommen würde, werden darauf zwar zu hundert Prozent angerechnet. Die steuerfreie Kostenpauschale von bis zu 4135,97 Euro im Monat kann sie jedoch behalten – zusätzlich zu jener, die sie im Bundestag erhält. Dort gibt es 4318,38 Euro für Ausgaben wie eine Zweitwohnung in Berlin.

In Pretzells Fall werden die Abgeordneten-Bezüge aus dem Europa-Parlament – 8484,05 Euro monatlich – nach NRW-Recht ebenfalls mit der Diät von 11.185,85 Euro aus dem Düsseldorfer Landtag verrechnet. Um 71,5 Prozent werden hier die deutschen Bezüge gekürzt. 4342 Euro Kostenpauschale aus dem EU-Parlament muss allerdings auch Pretzell nicht anrechnen. Er bekommt zudem für jeden Sitzungstag des Europa-Parlaments, an dem er teilnimmt, ein Tagesgeld von 306 Euro. Laut den Anwesenheitslisten des Parlaments war er allerdings seit April dieses Jahres in keiner Sitzung.

Rechtlich sind zwei Mandate miteinander vereinbar, wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags klarstellte. Politisch ist das Festhalten am Sitz allerdings schwierig – unter anderem, weil sich die Wähler für Petry und Pretzell entschieden im Glauben, damit die Politik der AfD zu wählen. Die hatte sich ins Wahlprogramm geschrieben, eine „ungebrochene Tendenz zum Berufspolitikertum“ und ein damit einhergehendes Wachstum von „Vetternwirtschaft“ und „Filz“ bekämpfen zu wollen.

Die Partei, der sie noch angehört, ist denn auch wenig begeistert von Petrys Plänen. „Frauke Petry hat 2015 Bernd Lucke vorgeworfen, sein Mandat nach der Abwahl behalten zu haben“, sagte Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland am Donnerstag dieser Redaktion. „Jetzt tut sie das gleiche. In einer Partei, die gegen Ämterhäufung und Selbstbereicherung angetreten ist, die für Rechtsstaatlichkeit und gegen Korruption kämpft, ist so ein Verhalten untragbar.“ Nicht nur ehemalige Weggefährten sehen das Verfahren Petrys und Pretzells kritisch. „Es handelt sich um eine schamlose Ausnutzung einer Gesetzeslücke“, sagte der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim von der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer über die Pläne des Politiker-Paars. „Es ist nicht vorstellbar, wie ein Politiker ernsthaft zwei Mandate in Vollzeitparlamenten ausfüllen will.“

Im Fall von Petry und Pretzell müsse man jetzt zudem darauf achten, wie sie mit den von den Parlamenten zur Verfügung gestellten Budgets für Personal umgehen – rund 24.000 Euro im Europa-Parlament, etwa 21.000 Euro im Bundestag. „Wenn die Mitarbeiter in den Parlamenten dabei helfen sollen, eine neue Partei zu gründen, wäre das der nächste Skandal“, so Verfassungsrechtler von Arnim.

Den Vorwurf der Bereicherung weisen die beiden zurück

Den Vorwurf, ihre Mandate nicht aus politischen Gestaltungswillen zu behalten, sondern weil es finanzielle Vorteile mit sich bringt, wiesen die Partei-Aussteiger zurück. „Es gibt mehr Arbeit, aber definitiv keine Bereicherung zu Ungunsten des Wählers“, sagte Noch-Parteichefin Petry am Montag.

Pretzell, der mit diesem Verdacht schon nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen konfrontiert wurde, wehrte damals ebenfalls ab – und versuchte sogar auf einer Pressekonferenz vorzurechnen, dass er mit den Bezügen aus zwei Parlamenten schlechter gestellt sei als mit nur einem Posten. Am Ende gab der damalige AfD-Landeschef entnervt auf: „Ich habe jetzt alles dazu gesagt“, sagte Pretzell zu skeptischen Journalisten, „Sie können dazu schreiben, was Sie wollen.“