Paris/Berlin.

Der Élysée-Palast hatte den Auftritt generalstabsmäßig vorbereitet. Am Dienstag, zwei Tage nach der Bundestagswahl, hält Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron an der Pariser Sorbonne-Universität eine Grundsatzrede zur „Neugründung“ Europas. Tempo will der 39-Jährige machen, frischen Wind in die EU-Institutionen bringen. Derzeit sei die Europäische Union „zu langsam, zu schwach, zu ineffizient“, kritisiert er. Er fordert, dass die Staaten der Gemeinschaft enger zusammenrücken auf Politikfeldern wie Wirtschaft, Finanzen, Klima, Verteidigung oder Forschung. Will der Präsident die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen in Deutschland beeinflussen? „Aber ganz bestimmt!“, lautet die freimütige Antwort von Macrons Europaministerin Nathalie Loiseau. „Schließlich sollen unsere Vorschläge in diese Gespräche einfließen.“

Insgeheim hatte Paris auf eine große Koalition spekuliert

Allerdings hatte Paris insgeheim auf ein Zweierbündnis zwischen der Union von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der europafreundlichen SPD spekuliert. Das Dumme aus Sicht Frankreichs: Nun läuft es auf eine Jamaika-Allianz zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen hinaus. Das dürfte Macron überhaupt nicht schmecken. Insbesondere wegen der FDP, die bei allem, was nach mehr Kooperation in der Eurozone aussieht, auf die Bremse tritt. Nach einem Bericht der Zeitung „Le Monde“ soll der Präsident über Merkel gesagt haben: „Wenn sie sich mit den Liberalen verbündet, bin ich erledigt.“ Auch der CSU, die sich mit Blick auf die bayerische Landtagswahl 2018 durch die eurofeindliche AfD unter Druck sieht, ist Macrons feuriges Plädoyer für mehr Europa suspekt.

Macron will eine alte französische Idee wieder aufwärmen, die bis in die 70er-Jahre zurückreicht: mehr Koordinierung der Wirtschaft, mehr staatliche Eingriffe. Der Präsident macht sich für einen Wirtschafts- und Finanzminister in der Eurozone stark. Merkel bezeichnet diesen Vorschlag als „nicht schlecht“. Die Kanzlerin hat Macron bereits grundsätzlich Zustimmung signalisiert, ohne jedoch ins Detail zu gehen. Die FDP hat das Vorhaben aus Frankreich jedoch bereits abgebügelt. Parteichef Christian Lindner fordert eine Trendwende in der Euro-Politik und verlangt, dass die „alte stabilitätsorientierte“ Linie wieder aufgenommen werden müsse. Also: ausgeglichener Haushalt, Strukturreformen zur Entlastung von Unternehmen.

Im Mittelpunkt steht Macrons Vorschlag, ein Eurozonen-Parlament mit einem eigenen Budget zu schaffen. Dem Präsidenten schwebt ein Haushalt mit „mehreren Prozentpunkten“ der gesamten Wirtschaftsleistung vor. Da ein Prozentpunkt gut 100 Milliarden Euro entspricht, käme am Ende ein Betrag von mindestens 200 bis 300 Milliarden Euro heraus. Zum Vergleich: Der Haushalt für die gesamte EU liegt in diesem Jahr bei knapp 160 Milliarden Euro. Die zusätzlichen Mittel müssten von den Mitgliedsstaaten kommen, an erster Stelle von Deutschland. Mit dem Geld will Macron die Konjunktur in rezessionsgeplagten Volkswirtschaften ankurbeln oder Investitionen – etwa in den Ausbau des Internets – finanzieren. „Wir brauchen ein gestärktes Budget im Herzen von Europa, im Herzen der Eurozone.“

Merkel ist hierfür prinzipiell offen. Doch sie plant „nicht Hunderte Milliarden Euro, sondern erst einmal kleine Beträge“. Aber selbst dies scheint in einer Jamaika-Koalition nicht durchsetzbar. CSU-Chef Horst Seehofer zieht am Dienstag eine rote Linie: „Beim Euro gilt der Grundsatz ‚strikte Stabilität‘, also auch die Stabilitäts-Kriterien.“ Der bayerische Ministerpräsident spielt damit auf die strenge Begrenzung der Neuverschuldung an, die nach dem Vertrag von Maastricht drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen darf. Europa sei eines von drei Themen, bei denen die Christsozialen nach ihrem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl sehr deutlich werden wollten, so Seehofer.

Auch die Liberalen stellen sich in dieser Frage quer. Die Rede von Macron sei zwar „mutig und erfrischend“, räumt der Vize-Präsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), ein. „Allerdings vertraut der französische Präsident zu sehr auf den Staat und neue Steuern. Das Problem in Europa ist jedoch nicht der Mangel an Geldern, sondern an Reformen.“ Rückendeckung bekommt Macron hingegen durch die Grünen. „Wir Deutsche haben ein Interesse daran und sollten deshalb die ausgestreckte Hand von Präsident Macron erwidern“, betont Grünen-Chef Cem Özdemir. Deutschland und Frankreich sollten mit den anderen Partnern Europa voranbringen.

Mehr Chancen dürfte Macron in Berlin mit seinem Vorstoß für ein europäisches Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Interventionstruppe haben. In Zeiten des Anti-Terror-Kampfs stehen auch in Deutschland die Zeichen auf mehr Kooperation. Europa solle eine „gemeinsame Doktrin“ haben, so Macron. Der Präsident schlägt vor, in den nationalen Armeen der EU-Staaten freiwillig Soldaten aus allen anderen Ländern aufzunehmen. Weitere Eckpunkte: Europa solle eine gemeinsame Staatsanwaltschaft, Asylbehörde, einen Zivilschutz und eine Steuer auf Börsengeschäfte einführen. Macron weiß, dass er seine ehrgeizigen Pläne nicht ohne die neue Bundesregierung verwirklichen kann. Deshalb bietet er einen neuen „Élysée-Vertrag“ zur Vertiefung der deutsch-französischen Freundschaft an. Die deutsche Seite warnt allerdings vor zu großen Erwartungen. Nikolaus Meyer-Landrut, Botschafter in Paris, begrüßt zwar die öffentliche Debatte. „Deutschland wird aber derzeit nicht in der Lage sein, auf die Vorschläge im Detail zu antworten, denn dafür ist eine Mehrheit, eine Regierung nötig.“ Und das kann in der Jamaika-Ära dauern.