Berlin/Hamburg. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz über die krachende Niederlage seiner SPD und deren Folgen

Die Flüchtlingskrise unterschätzt, nicht auf die richtigen Themen gesetzt oder doch ein falscher Spitzenkandidat? Mit Bürgermeister Olaf Scholz sprach Oliver Schirg über die Gründe für die Wahlniederlage seiner Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl.

Wie bewerten Sie das Ergebnis der Bundestagswahl?

Olaf Scholz: Das ist ein bedrückender Tag für die politische Demokratie in Deutschland. Der Einzug einer rechtspopulistischen Partei in den Bundestag mit vielen Abgeordneten wird das politische Klima in unserem Land verändern. Deshalb ist es richtig, dass die SPD in die Opposition geht.

Wie bewerten Sie das bundesweite Abschneiden der SPD?

Wir haben ein schlechtes Ergebnis erreicht. Da gibt es nichts schönzureden. Es ist uns das vierte Mal in Folge nicht gelungen, so stark zu werden, dass die SPD die Regierung führen und den Kanzler stellen kann. Es ist das schlechteste Wahlergebnis, das wir in der Bundesrepublik je erreicht haben.

Was sind die Ursachen für die Stimmenverluste Ihrer Partei?

Wahlabende eignen sich nicht für eine genaue Analyse eines Wahlergebnisses. Wir werden jetzt die Zahlen analysieren und herausfinden, woran es gelegen hat. Und dann werden wir versuchen, richtige Antworten zu geben auf die Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht. Das sind vor allem die Herausforderungen angesichts der Globalisierung und der daraus sich ergebenen Veränderungen im Arbeitsleben. Dann bin ich sicher, dass die Bürger sich die SPD auch wieder als Kanzlerpartei vorstellen können.

Hat das Thema „soziale Gerechtigkeit“ im Wahlkampf nicht gezogen?

Es war richtig, dass die SPD das Thema Gerechtigkeit zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfes gemacht hat. Richtig ist aber auch, dass Themen wie die innere Sicherheit, die Integration von Flüchtlingen, die Sicherheit von Arbeitsplätzen und der Umgang mit schwierigen Regierungschefs wie Wladimir Putin oder Herrn Erdogan eine bedeutende Rolle spielen.

Sie sind im Streit um die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften auf die Bürger zugegangen und haben die Situation befriedet. Hat man auf Bundesebene das Thema „Flüchtlinge“ unterschätzt?

Es ist ein Thema, das nach wie vor viele Menschen bewegt, und es war sicher keine gute Idee der Kanzlerin, so zu tun, als wären alle Aufgaben im Zusammenhang mit der Zuwanderung der Flüchtlinge erledigt. Jetzt geht es darum, dass die Integration gelingt. In Hamburg haben wir das gut gemacht. Entscheidend sind zum einen Pragmatismus und zum anderen die Möglichkeit, dass viele sich bei der Lösung der Probleme einbringen können.

Auch wenn die SPD weniger Wähler an die AfD verloren hat als die Union: Was sollte die SPD tun, um unzufriedene Wähler zurückzugewinnen?

Wir brauchen Antworten auf die großen Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht. Also: Welche Antworten haben wir auf die Globalisierung? Wie gestalten wir die Digitalisierung? Wie sichern wir Einkommen und Arbeitsplätze in unserem Land? Über diese Themen müssen wir sprechen. Dann hat die SPD die Chance, als weltoffene und pragmatische Partei als Alternative zur Bundesregierung wahrgenommen zu werden und nicht die Partei, die sich über Ressentiments zu profilieren versucht.

Hat die Wahlniederlage der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl möglicherweise an ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz gelegen?

Wir haben gemeinsam einen engagierten Wahlkampf gemacht und viele Menschen begeistert. In diesem Jahr sind mehr als 20.000 Menschen in die SPD eingetreten. Das hat aber nicht gereicht, besser bei der Wahl abzuschneiden. Aber die SPD ist keine Partei des Scherbengerichts. Wir stehen auch im Moment eines solchen Wahlergebnisses zusammen.

Die SPD-Spitze hat beschlossen, in die Opposition gehen. Welche Argumente sprechen aus Ihrer Sicht dafür?

Es wäre für Deutschland nicht gut, wenn auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin der Fraktionsvorsitzende der AfD als Oppositionsführer antworten würde. Die SPD ist eine der beiden Volksparteien im Bundestag, und wir werden die Regierung kontrollieren.

Wird künftig der Bundesrat der Ort sein, wo die Opposition eigene Vorstellungen durchsetzen kann?

Ich habe den Bundesrat stets als Ort für die Interessen Hamburgs genutzt. Das wird so bleiben.

Man verspürt fast so etwas wie Erleichterung über den Gang der SPD in die Opposition. Welche Gefahren lauern dort?

Von Erleichterung möchte ich nicht sprechen. Es gilt nach wie vor das Wort des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering: „Opposition ist Mist.“ Allerdings hat er auch gesagt, dass Opposition im demokratischen Wettbewerb dazu gehört. Das Wichtigste ist jetzt, dass wir bei allen Vorschlägen den Unterschied zur Regierung deutlich machen, zugleich aber vom Ton her den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln: Die SPD ist eine seriöse Partei und in der Lage, die Regierung zu führen.

In Hamburg liegt bei den Zweitstimmen die CDU vor der SPD. Ist dieses „Zwischenzeugnis“ für Ihren Senat von Nachwirkungen G20-Gipfels geprägt?

Nein. Die Wählerinnen und Wähler sind so klug, zwischen Wahlen zum Bundestag und zur Bürgerschaft klar zu unterscheiden. Zudem liegen die Ergebnisse der Hamburger SPD bei einer Bundestagswahl stets über dem Bundesdurchschnitt. Wir haben zuletzt wiederholt erlebt, dass die SPD nach einem weniger guten Ergebnis bei der Bundestagswahl bei der darauffolgenden Bürgerschaftswahl deutlich mehr als 40 Prozent der Stimmen holte.