Berlin.

Katrin Göring-Eckardt ähnelt an diesem Sonntagmittag im Gasometer in Berlin-Schöneberg den Football-Trainern in Hollywood-Produktionen, die ihre Mannschaft wenige Sekunden vor der Niederlage mit einer Motivationsrede wecken. Im Film folgt dann meistens der Sieg. Ob das bei den Grünen in diesem Wahlkampf noch klappt, ist eher fraglich.

Kämpfen und lächeln. Etwas anderes bleibt den Grünen sieben Tage vor der Wahl nicht mehr übrig. Spitzenkandidatin Göring-Eckardt versucht es beim Wahlparteitag so: „Am nächsten Sonntag werden wir so eine richtige, richtige Überraschung erleben.“

Doch die Grünen dümpeln in den Umfragen vor sich hin. Die meisten Institute sehen sie bei maximal acht Prozent. Dabei wollten sie eigentlich zweistellig werden. Göring-Eckardts Co-Spitzenkandidat Cem Özdemir gehört zu den populärsten Politikern Deutschlands. Doch das hat bis heute nicht dazu geführt, dass seine Partei bessere Umfragewerte erreicht.

Die schlechten Zahlen werden im Gasometer natürlich nicht genannt. Dafür andere, die Hoffnung machen sollen: Etwa 40 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen. Und: Jeder zweite Deutsche wünscht sich eine Regierungsbeteiligung der Öko-Partei.

Für die Grünen geht es um Bronze, so sagt es Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Also um den dritten Platz hinter CDU/CSU und SPD. Ihre Gegner: Linke, FDP und AfD. Alle drei Parteien liegen in den meisten Umfragen vor der Sonnenblumen-Partei.

Und keine Partei steht so unter Druck wie die Grünen. Erstens wollen sie nach zwölf Jahren in der Opposition endlich einmal wieder im Bund mitregieren – und beweisen, dass die Regierungsjahre von 1998 bis 2005 nicht nur ein Zufall der Geschichte waren. Zweitens kämpfen die Spitzenkandidaten um ihre eigene Zukunft. Ein schlechteres Ergebnis als im Jahr 2013 (8,4 Prozent) würden Göring-Eckardt und Özdemir politisch womöglich nicht überleben. Führen sie die Grünen allerdings doch noch in eine schwarz-grüne oder sogar eine schwarz-gelb-grüne Koalition, werden sie Minister.

Linke Stammwähler dürfen nicht verschreckt werden

Ähnlich wie bei der SPD kursieren bei den Grünen Namen, wer die Nachfolger an Partei- und Fraktionsspitze werden könnten, falls es ein schlechtes Ergebnis gibt. Genannt werden zum Beispiel der Innenexperte Konstantin von Notz oder der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck, der in der Spitzenkandidaten-Urwahl Anfang des Jahres nur 75 Stimmen hinter Özdemir lag. Habeck ist auch auf dem Wahlparteitag, so lässig wie möglich, trägt ein schwarzes T-Shirt zur schwarzen Jeans. Sonst fällt er nicht weiter auf. Grüne Basismitglieder versuchen nach Informationen des „Spiegels“ bereits, ihm den Parteivorsitz mit einer Satzungsänderung zu ermöglichen: In Zukunft sollen auch Landesminister Parteichef werden können. Das ist bisher nicht erlaubt.

Doch noch ist es nicht so weit. Noch kämpfen Göring-Eckardt und Özdemir um einen Platz in der nächsten Koalition. Die Worte Schwarz-Grün oder Jamaika kommen den Spitzenkandidaten an diesem Sonntag nicht über die Lippen. Linke Stammwähler sollen auf keinen Fall verschreckt werden. Und plump andienen will sich die Partei bei der Union auch nicht.

Sie versuchen es auf eine subtile Art. Sie werden mit allen Parteien reden, außer der AfD, heißt es. Und sie erklären die Bundestagswahl zur „Richtungsentscheidung“: dort die böse FDP, hier die guten Grünen. Man will das Land verändern, mehr tun für den Klimaschutz, für Elektromobilität, für Integration von Migranten. Sie wollen mehr tun gegen Fluchtursachen und rechte Hetze. Göring-Eckardt spricht von der „Rettung der Welt“.

Um den Unterschied zur FDP noch mal deutlich zu machen, sparen beide Spitzenkandidaten nicht mit Attacken. Göring-Eckardt sagt: „Wenn man mehr Klimawandel haben will, dann wählt man FDP.“ Liberalen-Chef Christian Lindner leide an „Realitätsverweigerung“. Özdemir versucht es mal mit Witz: Für die FDP seien Kohlekraftwerke aus der Zeit von Sepp Herberger „die Vorstellung davon, wie High-Tech aussieht“. Ein anderes Mal mit Überheblichkeit: „Und noch mal in leichter Sprache, damit es auch die Kollegen von der FDP verstehen.“ Da ist viel Wahlkampf-Adrenalin mit im Spiel. Und wie die Wahl auch immer ausgeht: Göring-Eckardt und Özdemir können sich nicht vorwerfen, auf den letzten Metern nicht gekämpft zu haben. Manchmal haben sie sogar geholzt.

Göring-Eckardt: Oma und Ex-Freund überzeugen

Und am meisten bekommt die AfD ab. Özdemir sagt, dass bei dieser Wahl Nazis in den Bundestag einziehen könnten. Er finde es gut, dass Spitzenkandidaten von deutschen Parteien auch mal „so einen Öztelbrutzel-Namen“ haben dürfen wie er.

Attackiert wird auch der eigentliche Wunschpartner, die in den Umfragen lahmende SPD. Besonders Göring-Eckardt versucht, unentschlossene Wähler aus dem rot-grünen Milieu zu überzeugen. „Wo ist eigentlich die stolze SPD?“, fragt sie. Sie sehe nur Sozialdemokraten, die sich als Vize in der
großen Koalition andienten. Und an die Adresse von Kanzlerkandidat Martin Schulz sagt sie: „Das ist Politik-Dumping.“ Das hätten SPD-Wähler nicht verdient. Auffällig auch das Motto des Parteitags: „Umwelt und Gerechtigkeit: Nur mit Grün“. Mit dem Stichwort soziale Gerechtigkeit war Schulz vor einigen Monaten in den beginnenden Wahlkampf gezogen.

Im Wahlkampf-Finale geht es für die Öko-Partei um jede Stimme. Und Göring-Eckardt gibt Tipps, wie jeder Grüne noch ein paar Wähler motivieren kann: Einfach die Oma, die Nachbarn oder den Ex-Freund anrufen und überzeugen. „Ich finde, das können wir machen“, sagt sie.