Berlin.

Es ist ein ganz besonderes Flugzeug, das an jenem Spätsommermorgen vom Berliner Flughafen Tegel abhebt: eine Global 5000, weißer Lack, schwarz-rot-goldene Banderole, über den Fenstern der ehrwürdige Schriftzug „Bundesrepublik Deutschland“. Das Ziel des Regierungsfliegers: Lettlands Hauptstadt Riga. Die Maschine der Bundeswehr-Flugbereitschaft befördert in der Regel das Spitzenpersonal der deutschen Politik. Die Kanzlerin, ihre Minister, auch der Bundespräsident wissen den Komfort des edlen Businessjets zu schätzen. Doch mit den üblichen Regeln hat dieser Flug vom 29. August des vergangenen Jahres nichts zu tun. In der Kabine macht es sich kein Politiker, sondern der Inspekteur der Luftwaffe, Karl Müllner, gemütlich. In Riga wird der Soldat im Range eines Generalleutnants dienstlich einige Stunden zu tun haben und später wieder in Tegel landen.

Wäre es nach den offiziellen Richtlinien der Flugbereitschaft gegangen, hätte der General niemals in dem Flieger sitzen dürfen. Der Luftwaffen-Inspekteur hätte einen Linienflug nach Riga buchen müssen, so wie es andere Offiziere der Bundeswehr bei Dienstreisen auch tun. Ein Trick machte Müllners VIP-Flug möglich. Ein Trick, von dem er und rund ein Dutzend hohe Generäle seit Jahren profitieren und der ihnen etliche Dienstreisen in den noblen Regierungsmaschinen ermöglicht hat: Ihre Flüge werden offiziell als Trainings- und Ausbildungsflüge durchgeführt, um das für die Genehmigungen zuständige Verteidigungsministerium zu umgehen.

Betriebskosten im fünfstelligen Bereich pro Dienstreise

Die Regierungsmaschinen der Flugbereitschaft stehen normalerweise dem sogenannten politischen und parlamentarischen Bereich zur Verfügung. Anfrageberechtigt sind etwa der Bundespräsident und die Mitglieder der Bundesregierung, die Präsidenten des Bundestags, des Bundesrats und des Bundesverfassungsgerichts sowie die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Deren Reisen mit der Flugbereitschaft müssen vom Verteidigungsministerium bewilligt werden. Generäle der Bundeswehr gehören nicht zu den Anfrageberechtigten. Sie könnten theoretisch Sonderflüge im Ministerium beantragen, müssten diese dann allerdings aus ihrem Haushalt bezahlen. Nur ein offizieller Mitflug bei einer Trainingseinheit von Piloten bleibt für die Generäle kostenlos. Allerdings nicht für die Steuerzahler: Die Betriebskosten für einen Hin- und Rückflug ins europäische Ausland liegen beim Flugzeugtyp Global 5000 im fünfstelligen Bereich.

Wie kommen diese angeblichen Trainingsflüge mit Generälen an Bord zustande? Dieser Zeitung liegen mehrere als Verschlusssache („VS – Nur für den Dienstgebrauch“, d. Red.) gekennzeichnete E-Mails der Flugbereitschaft aus den vergangenen vier Jahren vor. Es handelt sich um Schreiben zwischen den Adjutanturen der betroffenen Generäle und der am Flughafen Köln/Bonn beheimateten Flugbereitschaft sowie um E-Mails zwischen Offizieren der Flugbereitschaft. Sie belegen die offenbar geübte Praxis, wonach Generäle gezielt Trainingsflüge mit der sogenannten weißen Flotte – den Flugzeugtypen Airbus A340, Airbus A319 und Bombardier Global 5000 – anfragen lassen. So schickte am 15. Juli 2016 der Adjutant von Generalleutnant Müllner an die Flugbereitschaft konkrete Planungsdaten, um besagte Dienstreise nach Riga zu arrangieren. „Sollte bereits ein entsprechender Trainingsflug in den Raum geplant sein, so ist ein Mitflug durch InspL. (Inspekteur der Luftwaffe, d. Red.) beabsichtigt“, schrieb er weiter. Drei Tage später hieß es in einer internen E-Mail der Flugbereitschaft: „Bitte entsprechenden Trainingsflug mit G5000 (Global 5000, d. Red.) beantragen.“

In einem weiteren internen E-Mail-Verkehr wurde eine andere Dienstreise des Luftwaffen-Inspekteurs – diesmal ins italienische Cervia – mit den Worten „Bitte anhängenden Flug als ‚Training‘ beantragen ;)“ arrangiert. Weitere als Trainingsflüge deklarierte Dienstreisen von Generälen gingen in den vergangenen vier Jahren unter anderem in die USA, in die Türkei, nach Frankreich, Griechenland und Estland. Fast alle diese Reisen wurden mit dem Flugzeugtyp Global 5000 des kanadischen Herstellers Bombardier durchgeführt. Die Jets, von denen die Bundeswehr vier besitzt, sind mit einer VIP-Kabine für kleinere Delegationen von bis zu 13 Personen ausgestattet und eignen sich wegen ihrer Reichweite von fast 9000 Kilometern auch für Transatlantikflüge.

Von den E-Mails und der eigenwilligen Organisation der Trainingsflüge hat das Verteidigungsministerium von Amtschefin Ursula von der Leyen (CDU) offensichtlich noch nichts mitbekommen. Schließlich gehen im Ministerium nur die Fluganfragen für den politisch-parlamentarischen Bereich ein, also etwa aus dem Kanzleramt, den Ministerien oder dem Bundespräsidialamt. Diese werden dann nach Bewilligung an die Flugbereitschaft kommuniziert. Auf Anfrage dieser Zeitung listete das Ministerium insgesamt 22 Aus- und Weiterbildungsflüge zwischen August 2015 und Juli 2017 auf, an denen Generäle an Bord waren. Nach Informationen dieser Zeitung sind es allerdings deutlich mehr – nämlich bis zu 20 Trainingsflüge pro Jahr mit General an Bord.

Laut einer Ministeriumssprecherin besteht bei Aus- und Weiterbildungsflügen „grundsätzlich im Rahmen freier Kapazitäten die Möglichkeit des dienstlich veranlassten Mitfluges von Bundeswehrangehörigen (z. B. bei Dienstreisen)“. Die Informationen zu den geplanten Trainingsflügen „werden in der Regel über Anfragen der jeweiligen Adjutantur beim Verband oder der fachlich zuständigen Stelle eingeholt“, erklärt die Sprecherin. Das Ministerium geht demnach davon aus, dass stets zuerst die Trainingsflüge geplant werden und die Generäle die Flugdaten mit eigenen Reiseplänen abgleichen. Dabei ist es in vielen Fällen umgekehrt. Nicht nur die E-Mails bringen die Flugbereitschaft in Erklärungsnot. Eine mit den Einsatzplanungen über Jahre vertraute Person sagte dieser Zeitung: „Es ist gängige Praxis, den Generälen ihre gewünschten Flüge zu ermöglichen. Der Kommandeur der Flugbereitschaft traut sich in der Regel nicht, die Anfragen abzulehnen.“ Es gehe auch darum, „ein gutes Verhältnis zu den Generälen zu pflegen, da diese für die weiteren Karrieren mancher Offiziere in der Flugbereitschaft förderlich sein können“. Auch sorgen die als Trainingsflüge angemeldeten Dienstreisen immer wieder für Unmut in der Flugbereitschaft, da zugleich von Piloten beantragte, spezielle Trainingsflüge – etwa Anflugübungen auf schwierige Flughäfen – regelmäßig abgelehnt würden.