Berlin. Die Forderung nach längerem Arbeiten löst regelmäßig Empörung aus

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat mit ihrem Nein zur Rente mit 70 knapp drei Wochen vor der Wahl eine Kontroverse über die Dauer des Arbeitslebens entfacht. Ökonomen kritisierten Merkels Absage als wirtschaftlich schädlich. Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) warf der Kanzlerin vor der Bundestagswahl hingegen vor, sich den eigentlichen Fragen bei der Rente gar nicht zu stellen.

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sagte der „Rheinischen Post“: „Die Rente mit 70 auszuklammern, mag zwar wahltaktisch erfolgreich sein, nicht aber langfristig für die deutsche Gesellschaft.“ Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte der „Südwest Presse“: „Die demografische Entwicklung, die verlängerte Lebenszeit, machen ein späteres Renteneintrittsalter notwendig. Anders kann das System nicht finanziert werden.“ Es müsse aber Regelungen für jene geben, die nicht so lange arbeiten könnten.

Die Kritik der Ökonomen zeigt laut Linken-Chef Bernd Riexinger, dass „ein weiterer Rentenraub“ durch eine Rente erst ab 70 nicht vom Tisch sei. „Die sogenannten Ökonomen geben den Stimmen bis in die Spitze der CDU/CSU neue Nahrung, die den Wahnsinn einer Rente ab 70 weiterverfolgen“, sagte er. Nahles hielt Merkel entgegen, die Frage längeren Arbeitens werde gar nicht als Rente mit 70 diskutiert. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn und andere diskutierten vielmehr eine Verkoppelung des Lebensalters mit dem Renteneintrittsalter. „Gilt ihre Absage auch für diese Forderung?“

Als Schäuble 2016 für eine Koppelung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung eingetreten war, brach ein Sturm der Entrüstung los. Weil die Babyboomer verstärkt in Rente gehen, dürfte in den kommenden Jahren entweder das Absicherungsniveau sinken, der Rentenbeitrag steigen, das Rentenalter müsste heraufgesetzt werden – oder frische Steuermilliarden müssten in die Rente fließen. Gegner eines späteren Renteneintrittsalters argumentieren, dies bedeute Abschläge für all jene, die nicht so lange arbeiten können – oft Menschen, die mit geringeren Löhnen körperlich hart arbeiten.

Nahles sagte, die eigentliche Frage sei gar nicht das Renteneintrittsalter. Bei der Bundestagswahl gehe es um Folgendes: „Wollen wir, dass das Rentenniveau weiter sinkt oder ziehen wir eine Haltelinie ein?“ Die Union habe sich ihrer Forderung, das Rentenniveau zu halten, verweigert. „Die Jüngeren sind die Gelackmeierten – sie zahlen mehr Beiträge, aber sie sind auch diejenigen, die, wenn wir nichts machen und wenn es nach ihnen geht, unterm Strich überhaupt nichts haben davon, sondern mehr zahlen und weniger Rente bekommen.“

Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte einen grundlegenden Kurswechsel bei der Rente. Der Mindestlohn und das Rentenniveau müssten deutlich erhöht werden.