BerliN.

Es ist das größte und wichtigste Ereignis dieses Bundestagswahlkampfes: 15 bis 20 Millionen Zuschauer werden am Sonntagabend das TV-Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz verfolgen. Schulz und seine Partei versprechen sich von der einzigen direkten Begegnung mit Merkel, von der Debatte auf Augenhöhe, den lang ersehnten Aufwind im Wahlkampf. Zwei Drittel der Deutschen glauben laut Umfragen allerdings, dass die Kanzlerin besser abschneiden wird. Die Erwartungen sind hoch, der Druck auch: Wie bereiten sich die Kandidaten vor?

Angela Merkel hat das Wochenende freigeräumt. Sie will für das TV-Duell ausgeschlafen, ausgeruht sein, sich einstimmen. Ungeachtet dessen, dass sie ihren Herausforderer lange und gut kennt, hat sie ihn gründlich studiert: Biografie, Reden, Interviews, Körpersprache und Mimik anhand von Videos, schon aus Neugier, aber auch zur Analyse. Ein Psychogramm ist die Voraussetzung, um sich in seinen Gegner hineinzuversetzen, Angriffe zu antizipieren, Schwachstellen aufzuspüren. Merkel selbst kommt es immer vor, als sei ihr Gesicht ein offenes Buch; sie hat es aufgegeben, sich ein Pokerface anzutrainieren. „Ich kann es nicht.“

Da kokettiert sie mit Schwächen. In Wahrheit ist sie lernfähig und hat Kritik „sehr gut in Fortschritte“ umgesetzt, wie der Fernsehjournalist Alexander Niemetz erzählt hat. Er hat sie 2005 gecoacht, das letzte Mal, danach nicht mehr, denn nur der Diskrete überlebt in Merkels Umfeld. Die Vorbereitung auf das Duell ist ein Betriebsgeheimnis: wer ihr TV-Coach, wie groß das Team ist, was im Einzelnen geübt wird.

Die Kanzlerin hat mit der langjährigen Medienberaterin Eva Christiansen und ihrem Regierungssprecher und ehemaligen ZDF-Journalisten Steffen Seibert ohnehin zwei Profis an ihrer Seite. Sie können Schulz, aber auch die Moderatoren simulieren. Ähnlich läuft es beim Kanzlerkandidaten. Schulz hat den österreichischen Journalisten und Medienunternehmer Markus Peichl als TV-Coach engagiert, lässt sich außerdem vom früheren Regierungssprecher Bela Anda beraten. Peichl hatte 2009 schon den SPD-Kandidaten Frank-Walter Steinmeier für das Duell mit Merkel trainiert, zuletzt betreute er TV-Sendungen von Reinhold Beckmann und Thomas Gottschalk. Er probt mit Schulz auf klassische Weise: Einfache Sprache, Frage-Antwort-Spiel, mögliche Reaktionen auf Merkel. Wenn Peichl so vorgeht wie seinerzeit bei Steinmeier, dann wird sehr intensiv und detailliert jede denkbare Situation durchgespielt. Die Beteiligten schweigen dazu allerdings eisern. Die SPD-Zentrale will nicht einmal offiziell bestätigen, dass sich Schulz von Peichl coachen lässt.

Obwohl jeder weiß, dass die Duellanten vorher üben, sprechen Merkel und Schulz nicht darüber – ihr Auftritt soll leicht, natürlich und authentisch aussehen. In Wahrheit versuchen sie, alles unter Kontrolle zu behalten. Es geht um viel, jeder Fehler kann verheerende Folgen haben. Merkel hat zwar die größere Routine, drei solcher Duelle hat sie bereits bestanden. Aber auch Schulz hat sich in seiner Zeit als EU-Parlamentspräsident Fernsehroutine angeeignet. 2014 lieferte er sich zur Europawahl ein TV-Duell mit seinem konservativen Gegenspieler Jean-Claude Juncker, der Sendung mangelte es allerdings an Spannung und Kontroversen.

Jetzt versichert Schulz: „Ich bin nicht nervös“. Er wolle Merkel zwar bei zentralen Themen herausfordern, aber nicht persönlich attackieren. Zu aggressiv, das haben ihm seine Berater eingebläut, darf er nicht sein. Merkel wiederum hat früher mitunter angestrengt gewirkt, das gilt es zu vermeiden. Bei ihrer Duellpremiere 2005 beobachtete der Politologe Jürgen Falter noch, sie sei oft „fahrig“, neige unter Stress zu „teils drolligen Versprechern“. Heute kann sie besser denn je Dinge auf den Punkt bringen. Muss sie auch, denn die Antworten sollen nicht länger als 60 bis 90 Sekunden dauern.

Wirklich wohl fühlt sich Merkel im TV-Format nicht. Deswegen hat sie sich pro Wahl auch nie auf mehr als ein Duell eingelassen. Schulz klagt, die Kanzlerin weiche ihm aus. In seiner Strategie hat das Duell zentrale Bedeutung, für Merkel ist es eher Pflicht. Wer den größeren Gewinn aus dem Duell zieht, wird man etwa 15 bis 20 Minuten nach Ende der Sendung ahnen können. Dann trudeln die ersten Blitzumfragen ein: Wer hat gewonnen, wer verloren? Es beginnt der Kampf um die Deutungshoheit – der fast so wichtig ist wie das Duell selbst.