Berlin.

In gut vier Wochen ist es so weit: Schwule und lesbische Paare dürfen vom 1. Oktober an in Deutschland heiraten. Die Ehe für alle wird Realität, für Homosexuelle ist es ein Meilenstein im Jahrzehnte langen Ringen um die rechtliche Gleichstellung. Doch während der politische Streit um die Rechte homosexueller Paare hohe Wellen schlug, gibt es bislang nur wenige Untersuchungen über die konkrete Lebenssituation schwuler, lesbischer und bisexueller Bundesbürger. Eine neue Studie, die dieser Zeitung vorab vorlag, versucht nun, diese Lücke zu schließen.

Gibt es Unterschiede zu den Heterosexuellen bei Schulabschlüssen, Berufen, Löhnen? Wie sieht es mit dem sozialen Umfeld oder der politischen Orientierung aus? Erstmalig hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin Daten von Homo- und Bisexuellen aus der Langzeitbefragung des Sozioökonomischen Panels ausgewertet, um ein Bild der Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Deutschland zu zeichnen. Die Auswertung beruht auf den Antworten von 459 Befragten, die sich im Erhebungsjahr 2016 selbst als schwul, lesbisch oder bisexuell bezeichnet hatten. Die Analyse bezieht sich damit ausschließlich auf offen lebende Homo- und Bisexuelle. Durch Hochrechnung von Befragungsdaten und Erhebungen schätzen die Forscher, dass in Deutschland knapp zwei Prozent der Erwachsenen sich offen als homo- oder bisexuell identifizieren.

Und was erfährt man nun über diese Gruppe? Erwartbares, aber auch Überraschendes: Lesben, Schwule und Bisexuelle leben laut Studie seltener in einer Partnerschaft als heterosexuelle Menschen. Sowohl der Anteil der Singles als auch der Anteil der Befragten, die mit ihrem Partner in getrennten Haushalten leben, sind demnach in dieser Gruppe größer. Nur zehn Prozent der homo- und bisexuellen Befragten geben zudem an, in einem Haushalt mit einem Kind bis 14 Jahre zu leben. Bei heterosexuellen Befragten liegt dieser Anteil bei 27 Prozent. Und: Viele Homosexuelle leben in Doppelverdienergemeinschaften. Während bei verschiedengeschlechtlichen Paaren, die zusammenleben, 28 Prozent in einem Einverdienerhaushalt wirtschaften, liegt dieser Anteil bei gleichgeschlechtlichen Paaren mit 18 Prozent deutlich niedriger.

Kaum Unterschiede zwischen den homosexuellen und heterosexuellen Befragten gibt es in puncto soziale Unterstützung. Auf die Frage, ob es Personen gibt, „mit denen Sie persönliche Gedanken und Gefühle teilen oder über Dinge sprechen, die Sie nicht jedem erzählen würden“, oder „wen Sie im hypothetischen Fall einer langfristigen Pflegebedürftigkeit, zum Beispiel nach einem schweren Unfall, um Hilfe bitten würden“, antworteten beide Gruppen ähnlich: Nur etwa sechs Prozent der befragten Schwulen, Lesben und Bisexuellen und etwa vier Prozent der Heterosexuellen berichten, keine Vertrauensperson zu haben. Neun beziehungsweise fünf Prozent geben an, im Fall einer Pflegebedürftigkeit niemanden um Hilfe bitten zu können. Deutliche Unterschiede fanden die Forscher aber bei der Frage, wer diese Vertrauenspersonen sind. Homo- und Bisexuelle nannten deutlich häufiger Freunde und Bekannte, bei den Heterosexuellen dagegen waren es häufiger Eltern, Geschwister oder Kinder.

Wer sich offen als schwul oder lesbisch bezeichnet, scheint zudem öfter an Politik interessiert zu sein. Viele binden sich laut Studie auch langfristiger an eine Partei als Heterosexuelle. Unter diesen Befragten neigen viele eher zu den Grünen als zu CDU und CSU.

Unterschiede gibt es auch bei den Berufswegen: Die Befragten des Panels, die sich als Lesben, Schwule oder Bisexuelle identifizieren, haben im Schnitt eine etwas höhere Schulbildung als Heterosexuelle. 47 Prozent haben nach eigenen Angaben eine Hochschulreife – gegenüber 36 Prozent bei Heterosexuellen. Homo- und Bisexuelle sind zudem seltener als Arbeiter und häufiger als Angestellte beschäftigt. Nach Branchen betrachtet geben vergleichsweise wenige an, im produzierenden Gewerbe oder im Bereich Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit beschäftigt zu sein.

Auffällig finden die Studienautoren den deutlich höheren Stundenlohn heterosexueller Männer (im Schnitt 18 Euro) gegenüber heterosexuellen Frauen (14,40 Euro), homosexuellen Frauen (16,44 Euro) und homosexuellen Männern (16,40 Euro). Diese Differenzen blieben auch dann bestehen, wenn man Unterschiede in Qualifikation, Stellung im Beruf, Berufserfahrung, Arbeitszeitmodell und Branche berücksichtigen würden, schreiben die Forscher. Die Differenz bei Männern steige sogar auf über zwei Euro, wenn die höhere Schulbildung homo- und bisexueller Befragter berücksichtigt werde.

„Neben dem vielfach dokumentierten Gender-Pay-Gap, also einer Benachteiligung von Frauen bei Löhnen, zeigen die Daten somit auch einen Sexuality-Pay-Gap,“ schreiben die Autoren. Ein Befund, der sich auch in anderen westlichen Ländern finden lasse. Da es unter Lesben, Schwulen und Bisexuellen mehr Doppelverdiener-Haushalte gibt und die Haushalte im Durchschnitt kleiner sind als bei Heterosexuellen, bedeuteten diese Lohndifferenzen jedoch zunächst keinen Nachteil beim verfügbaren Haushaltseinkommen.

Die Bilanz der Forscher: Vor allem mit Blick auf die Lohnlücke gebe es weiterhin Handlungsbedarf bei der Gleichstellung. Zwar lasse sich aus den Lohndifferenzen nicht ohne weiteres Diskriminierung am Arbeitsmarkt ableiten, „jedoch ist diese Lohndifferenz erklärungsbedürftig, insbesondere da sie nicht durch Unterschiede in Qualifikationen oder Berufserfahrung erklärt werden kann“, mahnen die Forscher.