Berlin.

Im Osten, ausgerechnet dort, wird sie im Wahlkampf niedergebrüllt. „Merkel muss weg.“ Ob ihr die Rufe wehtun? „Damit muss man leben“, sagt die Kanzlerin und auch, dass sie es deshalb besonders wichtig finde, in vielen Städten in den neuen Ländern aufzutreten. Es ist nicht die wichtigste Frage bei ihrem Auftritt am Dienstag vor der Bundespressekonferenz, aber sie markiert eine Grenze: Angela Merkel lässt nicht in ihr Innerstes blicken.

Ein TV-Duell gibt es zu ihren Bedingungen – oder gar nicht

Sie ist zu großer Härte fähig. Dann wird sie in ihren Antworten kurz, eindeutig, abschließend. Merkel auf die Frage, ob sie das Recht auf Asyl ändern wolle: „Das habe ich nicht vor.“ Dass Teile ihrer CDU in Sachsen-Anhalt für einen Antrag der AfD gestimmt haben, hält sie „nicht für richtig“. Merkel über die AfD-Kritik an ihrer Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz: „Rassistisch“, „absolut zu verurteilen“. Merkel über die Annexion der Krim: „Eine flagrante Verletzung der territorialen Integrität.“ Oder über die Rechtsstaatlichkeit in Polen: „Man kann da nicht einfach den Mund halten und nichts sagen um des lieben Friedens willen.“

Gut dreieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl absolviert Merkel ihren traditionellen Auftritt vor der Bundespressekonferenz. Genauer gesagt haben ihre Vorgänger die Tradition gehegt und gepflegt, während Merkel sie gestutzt hat. Es ist erst ihr 21. Auftritt in zwölf Jahren. Merkel steht Rede und Antwort, wenn es in ihrem Interesse liegt; einmal im Jahr und bei Sonderlagen. Das rigorose Minimum an Erklärarbeit schützt vor Überraschungen. Sie behält gern die Kontrolle. So verhält es sich auch beim TV-Duell am Sonntag, auf das sie sich „freut“. Und freuen darf – weil es im Prinzip zu ihren Bedingungen läuft. Die Freiheit, darüber zu entscheiden, ob man eine Einladung annehme oder nicht, sei „ja immer genauso wichtig wie die Freiheit der Presse und die Unabhängigkeit“, sagt Merkel umständlich. In Wahrheit hat sie alle Wünsche nach Korrekturen – nach einer zweiten Sendung, mehr Fragen der Journalisten – abgewehrt.

Sie will die Modalitäten unverändert lassen, weil sich das Format „bewährt“ habe, sagt die Frau im roten Blazer. Das ist der Moment, als der halbe Saal in Gelächter ausbricht, weil sich niemand zum Narren halten lassen will. Merkel ist aus den Wahlen 2005, ’09 und ’13 als Siegerin hervorgegangen, bewährt hat sich das Format zweifellos – für sie. Merkel weiß, dass nicht ihr Herausforderer Martin Schulz, sondern sie die stärkere Position hat. Sie kommt entweder zu ihren Konditionen – oder sie erscheint nicht zum Duell. Im zwölften Jahr ihrer Kanzlerschaft nimmt Merkel herrische Züge an.

Sie kann nicht nur eisern, sondern auch sehr raffiniert sein, zum Beispiel wenn sie engste Mitarbeiter im Kanzleramt auf Minijobbasis für die CDU Wahlkampf machen lässt. Ein holländischer Journalist will in gespielter Unschuld wissen, ob das vertretbar wäre, zumal CDU-Generalsekretär Peter Tauber zuletzt über Minijobber getwittert hatte: „Wenn Sie was Ordentliches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs.“ Merkel entschließt sich zur Vorwärtsverteidigung: Tauber habe sich längst entschuldigt, sie finde die Regelung der CDU transparent und „begrüße“ es, dass der Bundesrechnungshof die Praxis überprüfen wolle. Sie wirkt erleichtert, als das Thema abgehakt ist. 90 Minuten lang steht sie Rede und Antwort, ruhig, souverän, konzentriert, nie ausschweifend, sachlich bis zur Detailversessenheit. Und gut vorbereitet: Weil sie immer über sich liest, dass sie Schulz ignoriere, pariert sie die erste Frage danach mit dem Hinweis, sie habe „extra schon einmal heute Martin Schulz gesagt“.

Allerdings hat man alles irgendwo schon mal von ihr gehört. Vielleicht wird man so nach zwölf Jahren: eine Weiter-so-Kanzlerin. Sie selbst empfindet den Wahlkampf als „spannend“ und nicht langweilig. Wie man der Meute subtil auf die Sprünge hilft, zeigt Merkel im Eingangsstatement. Sie greift nur zwei Themen auf, den Migrationsgipfel vom Vortag in Paris sowie den Dieselskandal: „Ich muss sagen, dass wir mit der Automobilindustrie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können.“ Es gebe Empörung, eine riesige Enttäuschung, „nicht nur bei mir“. In diesem Konflikt sei „schon eine Wut da“. Es ist spürbar, dass Merkel das Thema ausreizen, eine Stimmung im Wahlkampf bedienen will. Dabei ist sie nicht die erste Wutbürgerin im Land, sondern eine Autokanzlerin, die den Spurrillen von VW und Co. folgt: Software, Umtauschprämien bei Neuwagenkäufen, Konzepte, um Fahrverbote in Kommunen zu vermeiden. Bei allen Klagen wird es für die Konzerne nicht ungemütlich. Teure Nachrüstungen erspart sie den Herstellern.

Die Beziehungen zur Türkeiin einer komplizierten Phase

Im Umgang mit der Türkei – nächste Krise – seien nicht alle Mittel ausgeschöpft, sie müsse einfach konstatieren, dass die rechtsstaatliche Entwicklung in die falsche Richtung gehe. Sie würde gern bessere Beziehungen zur Türkei haben, „aber wir müssen natürlich die Realität betrachten“. Zur Realität gehört, dass Menschen grundlos „plötzlich inhaftiert werden“. Das bringe „ein hohes Maß an Verunsicherung“. Deswegen die Verhärtungen. Beide Staaten seien in einer sehr komplizierten Phase ihrer Beziehungen. Sie bedaure das. Sie will jetzt abwarten, „wie sich die Dinge weiterentwickeln“. Merkel ist keine Frau, die sich stressen lässt. Sie hat sich drei Fragen gestellt: „Bist du neugierig genug? Hast du Kraft? Hast du genug Freude?“ Merkel ist hier, weil sie auf alle drei mit Ja geantwortet hat.