Nürnberg.

Es ist die fränkische Heimat seines CSU-Rivalen Markus Söder, die Horst Seehofer als Ort für das Interview vorgeschlagen hat: den Biergarten „Hexenhäusle“ am Fuß der Nürnberger Kaiserburg. Mehr als innerparteiliche Machtfragen treibt den bayerischen Ministerpräsidenten allerdings der Umgang der Politik mit den deutschen Autoherstellern um.

Herr Seehofer, Abgasmanipulationen haben die deutschen Autohersteller in Verruf gebracht. Wie groß ist der Schaden für den Standort Deutschland?

Horst Seehofer: Der Imageschaden ist gewaltig. Die Manipulationen von Herstellern müssen zulasten der Hersteller korrigiert werden, und die Verantwortlichen müssen die Konsequenzen tragen. Aber was die Politik zum Teil hier aufführt, ist blanker Irrsinn.

Wer verhält sich irrsinnig?

Höhepunkt war jetzt Frau Hendricks, als sie Millionen von Dieselfahrern mit Fahrverboten bedroht hat. Das ist quasi eine Verbraucherwarnung durch die Bundesumweltministerin. Gleichzeitig ist ihr Parteivorsitzender Martin Schulz im Land unterwegs und erklärt, er sei gegen Fahrverbote. Was Frau Hendricks macht, ist unverantwortlich. Es gibt in Deutschland 16 Millionen Dieselfahrer. Die Umweltministerin ist dafür hauptverantwortlich, dass für diese Kfz-Halter ein riesiger Wertschaden eingetreten ist. Frau Hendricks war federführend beteiligt am Dieselforum der Bundesregierung – und hat dort mit keiner Silbe zu erkennen gegeben, dass sie das Ergebnis nicht mittragen möchte. Jetzt bekämpft sie die Beschlüsse geradezu. Von solchen Politikern ist nicht viel zu halten.

Sind Sie denn mit dem Diesel-Gipfel zufrieden?

Wir haben drei Säulen: die Nachrüstung der Software, die eine Reduzierung des Stickoxidausstoßes der nachgerüsteten Fahrzeuge um 25 bis 30 Prozent bringen soll. Dazu kommen die Kaufprämien, die von den Autoherstellern gezahlt werden. Sie sollen dazu führen, dass moderne, umweltfreundliche Autos auf die Straße kommen ...

... was ist für Sie umweltfreundlich?

Das entscheidet alleine der Kunde, ob er ein Elektroauto, ein Hybridauto oder einen Eurodiesel 6 kauft. Solche Anreize für einen Autotausch entsprechen der freiheitlichen sozialen Marktwirtschaft und nicht der sozialistischen Planwirtschaft. Und die dritte Säule ist die mobile Wende in den großen Städten.

Ist das mehr als eine Worthülse?

Ich bitte Sie! Am 4. September wird die Kanzlerin Oberbürgermeister und weitere Kommunalpolitiker zu diesem Thema einladen. Ich schlage vor, dass sich der Bund stärker als vorgesehen an dem Umweltfonds von Verkehrsminister Dobrindt beteiligt. Auch der Freistaat Bayern ist bereit, mehr einzuzahlen. Damit sollen unter anderem die Betreiber von Bussen oder Taxen stärker unterstützt werden, wenn sie auf einen umweltgerechten Antrieb umstellen. Das bringt besonders viel, da Busse und Taxen anders als die Autos von Pendlern die ganze Zeit auf der Straße sind. Diese drei Säulen gemeinsam sind geeignet, um die Stickoxidproblematik in den Griff zu bekommen. Ziel ist, die Schadstoffgrenzwerte einzuhalten ohne Fahrverbote.

Sie hatten zunächst eine staatliche Abwrackprämie für alte Dieselfahrzeuge gefordert – und sind dafür scharf kritisiert worden. Halten Sie daran fest?

Kritik gibt es ja an jedem Vorschlag. Diese Diesel-Diskussion in unserem Land ist einzigartig. Deutschland ist gerade wieder dabei, flächendeckend die Nerven zu verlieren. Mich beschäftigt die Frage, ob jetzt mit der Autoindustrie das Gleiche passiert wie mit der Energiewirtschaft und anderen Industrien, die in Deutschland heute kaum mehr eine Rolle spielen. Die deutschen Autohersteller sind im internationalen Vergleich die umweltfreundlichsten. Trotzdem bin ich dafür, dass wir den Gesundheits- und Umweltschutz noch weiter verstärken ...

... mit einer staatlichen Abwrackprämie?

Im Moment genügen die genannten drei Säulen, weil die Hersteller selbst Umtauschprämien anbieten. Darüber hinaus könnten wir das KfZ-Steuerrecht verändern, damit es stärker Rücksicht nimmt auf die Umwelt. Die alten Fahrzeuge müssen stärker besteuert werden als die neuen. Das kann man ohne jede Steuererhöhung machen. Eines kann ich garantieren: Mit mir wird es flächendeckende Fahrverbote nicht geben. Bei der SPD gibt es Bundesminister, die auf Fahrverbote für Millionen Autobesitzer hinarbeiten. Für die Grünen gilt das sowieso. Verbote passen zu einer Planwirtschaft und nicht zu einer Marktwirtschaft.

Die Kanzlerin hat sich langfristig für ein Verbot von Verbrennungsmotoren ausgesprochen. „Ich kann jetzt noch keine präzise Jahreszahl nennen, aber der Ansatz ist richtig“, sagte sie in einem Interview. Steht auch Angela Merkel für Planwirtschaft?

Ich habe mit Angela Merkel darüber gesprochen. Wir wollen alle zusammen noch umweltfreundlichere Autos. Aber wir dürfen ein politisches Ziel nicht mit Verboten anstreben. Das können die Briten machen, die haben schon mehrere solche Fehler gemacht. Die Deindustrialisierung der Marktwirtschaft ist eine britische Erfindung.

Das haben Sie der Kanzlerin begreiflich gemacht?

Das musste ich gar nicht. Sie hat mir sofort gesagt, dass ihre Aussage überhöht und interpretiert wurde.

Merkel wurde falsch interpretiert?

Sie hat keine Jahreszahl für ein Verbot genannt. Ich bin kein Anhänger einer Verbotspolitik, und Angela Merkel ist es auch nicht. Der Staat soll Anreize setzen. Ein Verbot des Verbrennungsmotors legt die Axt an die Wurzel unseres Wohlstands. Das ist in Koalitionsgesprächen für die CSU genauso wenig verhandelbar wie Steuererhöhungen, eine Erleichterung der Zuwanderung und eine Lockerung der Sicherheitspolitik.

Würden Sie eine Quote für Elektroautos als Kompromiss akzeptieren?

Das ist auch so ein Blödsinn. Jeder Dritte soll ein Elektroauto kaufen? Ich kann mir nicht vorstellen, wer genau dieser Dritte sein soll.

Ungemach droht der deutschen Autoindustrie auch aus den USA: Präsident Trump will deutsche Autos mit Strafzöllen belegen. Welche Folgen hätte das?

Die viel größere Gefahr geht von unserer Diesel-Diskussion in Deutschland aus. Ich werde nach der Bundestagswahl ein Bündnis suchen mit den Beschäftigten in der Automobilindustrie. In Deutschland gibt es derzeit einen Feldzug, eine Hexenjagd gegen das Automobil an sich. Das ist für die Autoindustrie viel gefährlicher als Trump. Wir sind doch von allen guten Geistern verlassen, wenn wir ein Produkt, das so umweltfreundlich ist wie nie zuvor in seiner Geschichte, an Haupt und Gliedern infrage stellen. Die meisten Falschnachrichten kommen im Übrigen nicht aus Russland und schon gar nicht aus Amerika, sondern aus Deutschland – und nicht selten aus der Politik.

Wie bitte?

Wenn Außenminister Gabriel der Kanzlerin vorwirft, sie unterwerfe sich Trump, dann ist das eine Falschnachricht. So was darf man auch in einem Wahlkampf nicht sagen. Auch deswegen nimmt bei mir die Neigung, noch einmal eine große Koalition einzugehen, stark ab.

Mit wem wollen Sie dann regieren?

Wir müssen erst einmal stärkste Fraktion werden. Und wenn uns die Bevölkerung das Vertrauen dafür gibt, wäre die FDP mein Wunschpartner.

Die vergangene schwarz-gelbe Koalition endete im Dauerstreit. Haben die Wunschpartner dazugelernt?

Die FDP hat es leider bis heute nicht geschafft, neben dem Liberalismus auf die soziale Verantwortung zu setzen, das Herz, die Gefühle der normalen Menschen anzusprechen. Es ist zu wenig für den Liberalismus, nur über Kapitalanlagen und Börsenwerte zu sprechen mit einem gelegentlichen Zwischenruf für den Datenschutz. Der FDP fehlt immer noch eine schlüssige Konzeption für eine sozial ausgewogene Marktwirtschaft. Auch mit den Liberalen stünden wir vor extrem harten Koalitionsverhandlungen.

Sie übertreiben. FDP-Chef Lindner will jetzt sogar eine Obergrenze für Flüchtlinge ...

Herr Lindner weiß, wie die Bevölkerung dazu denkt. Ohne jährliche Begrenzung der Zuwanderung wird die Integration nicht funktionieren. Aber es reicht nicht, mit Begriffen zu jonglieren, wie der FDP-Vorsitzende das gerade tut. Wir müssen uns die Mühe machen, ein in sich geschlossenes Regelwerk zu schaffen für die Migration.

Wie groß sind die Schnittmengen in der Außenpolitik? Lindner schlägt vor, Russland die annektierte Halbinsel Krim als „dauerhaftes Provisorium“ zu überlassen ...

Der Vorschlag von Herrn Lindner ist falsch. Die Annexion der Krim ist eine Verletzung des Völkerrechts, die nicht hingenommen werden darf. Ich bin auch dafür, dass man die Sanktionen schneller überwindet als ursprünglich vorgesehen. Aber solche Schritte müssen immer gebunden sein an das Friedensabkommen von Minsk. Solange die kriegerischen Handlungen im Osten der Ukraine nicht unterbunden werden, ist eine Lockerung der Sanktionen unvorstellbar. Es geht um Realpolitik, wie sie Hans-Dietrich Genscher als Außenminister perfekt betrieben hat. Was Herr Lindner zur Krim gesagt hat, war ein bisschen unvollkommen. Das hätte Hans-Dietrich Genscher nicht gefallen.

Altkanzler Schröder ist für einen Direktorenposten beim halbstaatlichen russischen Ölkonzern Rosneft nominiert – und wird von CSU-Generalsekretär Scheuer als „russischer Söldner“ beschimpft. Ist das auch Ihre Wortwahl?

Schröders Verhalten ist völlig inakzeptabel. Das geht einfach nicht. Ein Bundeskanzler a. D. ist kein Privatmann. Wenn er sich als solcher bezeichnet, soll er sofort den Dienstwagen und das Sicherheitspersonal abgeben. Die Formulierung vom russischen Söldner, die Andreas Scheuer gewählt hat, war absolut passend.

Ist Scheuer ein Kandidat für die nächste Bundesregierung?

Ein Generalsekretär, der einen erfolgreichen Wahlkampf hinlegt, ist immer ein Kandidat für alles, was anschließend ansteht.

Sie halten große Stücke auf den früheren Verteidigungsminister zu Guttenberg. Was haben Sie – sechs Jahre nach seinem Rücktritt wegen einer zweifelhaften Doktorarbeit – mit ihm vor?

Karl-Theodor zu Guttenberg hilft uns im Wahlkampf mit wichtigen Veranstaltungen. Ob er anschließend zur Verfügung steht, in der CSU wieder regelmäßig mitzutun, ist offen und alleine seine Entscheidung. Ich wünsche es mir.

Für wie groß halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass SPD-Kandidat Schulz doch noch nächster Bundeskanzler wird?

Es gibt ein Restrisiko. Wir haben die Wahl noch nicht gewonnen. Aber viele Menschen erkennen: Angela Merkel ist als Führungsfigur und als Stabilisator in der Weltpolitik und in Deutschland unverzichtbar.

Klingt, als wünschten Sie sich noch mehrere Amtszeiten von Merkel ...

Man sollte der Güte des Herrgotts keine Grenzen setzen. Ich rufe jetzt keine fünfte Amtszeit aus, aber ich möchte darauf hinweisen: In vier Jahren ist Angela Merkel immer noch jünger, als ich heute bin. Und ich trete auch noch einmal als bayerischer Ministerpräsident an. Wir haben eine Kanzlerin im besten Alter. Sie genießt großen Respekt in der ganzen Welt und hat viel Erfolg mit ihrer Politik.

Das haben Sie vor ein paar Monaten noch anders formuliert. Wem trauen Sie zu, Merkel einmal nachzufolgen?

In der mittleren und jüngeren Garde sehe ich in der CDU wie in der CSU sehr viele Namen, aus denen ich bewusst keinen hervorheben möchte. Ich bin mit dem Nachwuchs hochzufrieden.

Als Ort für dieses Interview haben Sie Nürnberg ausgesucht. Dort ist Markus Söder zu Hause, der sich hohe und höchste Aufgaben zutraut. Ist das eine besondere Form der Unterstützung für den bayerischen Finanzminister?

(lacht) Wir sitzen hier in Nürnberg, weil ich anschließend zu einer Veranstaltung mit der Bundeskanzlerin nach Bayreuth muss. Ich weiß, was Markus Söder kann – und was er will.

In der fünften Folge erscheint am kommenden Sonnabend ein Interview mit Linke-Spitzen-
kandidatin Sahra Wagenknecht