Madrid/Berlin.

Unter Staub und Trümmern schimmert die orange Farbe der Gasflaschen durch. An Metallträgern des Hauses hängt Absperrband der Polizei. Es war die Nacht vor dem Angriff, als das Versteck der Gruppe in der spanischen Küstenstadt Alcanar in die Luft flog, ein Unfall beim Bauen der Bomben. Der mutmaßliche Plan A der Terrorzelle, ein Attentat mit Sprengsätzen, schlug fehl. Doch auch der neue Plan war verheerend: In Barcelona und dem Touristenort Cambrils töteten die jungen Männer 15 Menschen, weit mehr als 100 wurden verletzt. Ein Lieferwagen war ihre schärfste Waffe. Am Steuer: Younes Abouyaaqoub. 22 Jahre jung, ein guter Student, der gerne Fußball spielte und Autos liebte.

Zwölf Männer gehörten nach Erkenntnissen der Ermittler zum Terror-Netzwerk. Zwei starben bei der Explosion in dem Haus, der Rest durch Kugeln von Polizisten. Vier wurden festgenommen, einen hat der Ermittlungsrichter mangels Beweisen auf freien Fuß gesetzt. Ein weiterer Verdächtiger solle lediglich für weitere 72 Stunden in Polizeigewahrsam bleiben. Für die übrigen beiden jungen Männer habe Richter Fernando Abreu in Madrid Untersuchungshaft angeordnet, hieß es.

Der Name des Imam tauchte schon beim Terror 2004 auf

Die meisten Mitglieder der Terrorzelle waren jung, zwei sogar erst 17. Younes Abouyaaqoub, der mit dem Wagen in die Menschenmenge in Barcelona raste, war – wie fast alle Mitglieder der Gruppe – in Marokko geboren. Als Abouyaaqoub vier Jahre alt war, wanderte die Familie nach Spanien aus. Anders als die Dschihadisten von Paris oder Brüssel wuchsen die Mitglieder der Zelle von Alcanar nicht in den Plattenbauten europäischer Metropolen auf. Abouyaaqoub und andere lebten in Ripoll, einer Kleinstadt im Norden von Barcelona. Ein anderer stammt aus der spanischen Exklave Melilla in Nordafrika.

Es gibt eine Handvoll Supermärkte in dem Ort, ein Museum, ein Kloster. Direkt daneben hatte Abdelbaki Es Satty eine Wohnung, zwei Zimmer, sechster Stock. Er war Imam in Ripoll, laut der spanischen Zeitung „El Pais“ ein Mann Mitte 40, dünn, einige beschreiben ihn heute als zurückhaltend und freundlich. Andere als intelligent, verführerisch und fanatisch. 2015 kam er nach Ripoll, übernahm die Predigten in der Moschee. Die Gemeindemitglieder seien froh gewesen. „Es ist immer härter, einen Imam zu finden“, sagt Hammou Minhaj jetzt der „El Pais“.

Die Ermittler halten Abdelbaki Es Satty für den Kopf der Terrorzelle. Er war der Polizei bekannt, galt als radikaler Salafist, saß vier Jahre in Haft aufgrund von Drogendelikten. Schon in den Akten zu den von al-Qaida verübten Anschlägen auf Züge in Madrid 2004 taucht sein Name auf, allerdings nicht unter den Verdächtigen.

Das Bild, das Ermittler, aber auch Verwandte und Nachbarn von den Attentätern Tage nach der Bluttat rekonstruieren, zeigt einen der vielen Wege junger Menschen in den Dschihad: eine geschlossene Gruppe von jungen Freunden und Familienmitgliedern, darunter auch Brüderpaare, ein Imam als charismatischer Anführer und die Moschee als Rückzugsort für fundamentale Ideologie, aber auch für Gespräche und Gebete, unbeobachtet von Nachbarn und Polizei. Häufig soll sich der Imam mit der Gruppe in einer Wohnung oder einem Lieferwagen getroffen haben. Moscheemitglieder sagen der „El Pais“, dass sie zwar gesehen hätten, wie der Imam die jungen Menschen mit seinem Charisma an sich zog. Aber Terror habe man sich nicht vorstellen können. Niemand informierte die Behörden.

Kurz nach den Anschlägen reklamierte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) die Taten für sich. Doch bisher fehlen Hinweise auf eine Verbindung der Gruppe zum IS. Bisher sieht es so aus, als handelten sie auf eigene Faust. Das Muster der Anschläge aber passt in die Strategie der IS-Propagandisten. Wie bei früheren Attentaten durch Dschihadisten etwa des Al-Qaida-Netzwerks in Madrid oder New York schlagen IS-Anhänger heute auch in organisierten „Hit-Teams“ zu, etwa im November 2015 in Paris. Mitglieder der Zelle waren in Europa aufgewachsen, manche verdienten ihr Geld als Kleinkriminelle, radikalisierten sich, reisten ins „Kalifat“ nach Syrien und kamen mit einem Terrorplan zurück.

Radikalisierung durch konspirative Treffen

Stärker als früher animiert die Propaganda des IS vor allem mithilfe der sozialen Netzwerke und Internetvideos Einzeltäter zu Gewalttaten im Namen ihrer Ideologie. Sie agieren allein, in vielen Fällen jedoch angeleitet und motiviert durch IS-Kämpfer über verschlüsselte Kommunikation. So war es etwa bei den Attentätern von Ansbach und Würzburg im Sommer 2016. Häufig radikalisieren sie sich schnell, mal staut sich Wut über Jahre auf, mal paart sich pubertäre Abenteuerlust mit psychischer Instabilität. „Dschihad“ ist heute auch Jugendkultur – das Versprechen auf Macht und Anerkennung – ein Ausweg aus Misserfolg in Schule, Familie und auf dem Arbeitsmarkt.

Ermittler treffen heute auf viele Typen des Dschihadisten. Gerade das macht ihre Verfolgung so schwer. Die spanische Polizei nahm zwischen 2013 und 2016 insgesamt 178 Terrorverdächtige fest. Forscher um Fernando Reinares vom Elcano Royal Institute in Madrid untersuchten ihre Biografien. Die Studie zeigt, welche bedeutende Rolle Freunde und charismatische Anführer bei der Radikalisierung spielen – trotz IS-Propaganda bei Facebook oder in verschlüsselten Chats. Nur 13 Prozent fanatisierten sich allein. Hier spielte das Internet die entscheidende Rolle. Doch wer sich durch Freunde, zurückgekehrte IS-Kämpfer, Imame oder andere Dschihadisten radikalisierte, traf in drei Vierteln der Fälle die Person persönlich.

Freunde erzählen heute, dass die jungen Männer aus Ripoll wie viele Marokkaner in Spanien diskriminiert und als „Moros“ beschimpft worden seien, als „Mauren“. Und doch galten sie als gut integriert. Der Polizei fielen sie nicht als Extremisten auf. Im Gegenteil: Den jungen Abouyaaqoub beschreiben Freunde als guten Schüler, der sich zum Elektromechaniker ausbilden ließ. Auch die Brüder Mohamed und Omar Hichamy sollen gute Schüler gewesen sein, die nicht auffielen. Mohamed arbeitete in einer Metallverarbeitung. Sie alle sprachen perfekt Katalanisch. Warum erlagen sie der Propaganda des Imam? Es bleibt eine entscheidende Frage. Bisher ist sie unbeantwortet. Und Abdelbaki Es Satty ist tot, die Polizei entdeckte die Leiche des Imams in den Trümmern der Bomben-Werkstatt in Alcanar.