Berlin/Madrid.

Der Anschlag in Barcelona war keine Einzelaktion. Nach Angaben der spanischen Polizei hängen die Attacken in der katalanischen Metropole, dem Badeort Cambrils und eine Bombenexplosion am Mittwoch in der Gemeinde Alcanar zusammen. Eine Terrorzelle – zu der etwa ein Dutzend Personen gehören könnten – stecke dahinter, sagen die Behörden.

Wer steuerte den Lieferwagen?
Bei dem Fahrer des Lieferwagens, der am Donnerstag auf der Flaniermeile Las Ramblas in Barcelona Dutzende Menschen überfuhr, soll es sich um den 17-jährigen Moussa Oukabir handeln. Es ist der jüngere Bruder des bereits am Donnerstag inhaftierten Driss Oukabir. Der Verdächtige soll nach der Todesfahrt zu Fuß geflüchtet sein. Auf der Flucht kaperte Moussa womöglich ein Fahrzeug und erstach den Fahrer. Am Freitagabend verdichteten sich Hinweise, dass Oukabir später ums Leben kam.

Was ist über den mutmaßlichen Haupttäter bekannt?
Sicher weiß man nur, dass ein Wagen am Stadtrand eine Polizeisperre durchbrach und es zu einer Schießerei kam. Als die Polizei das Fahrzeug, das noch ein Stück weitergerollt war, inspizierte, fand sie die Leiche des Autobesitzers – auf dem Beifahrersitz und mit Stichwunden. Deshalb schließt die Polizei nicht aus, dass Moussa Oukabir den Fluchtwagen steuerte und sich nach dem Durchbrechen der Polizeisperre absetzen konnte.

Vor zwei Jahren soll Moussa Oukabir in einem sozialen Netzwerk seinen größten Wunsch geäußert haben. Auf die Frage von Freunden, was er als „absoluter König der Welt“ als Erstes tun würde, antwortete er: „Ich möchte so viele Ungläubige wie möglich töten.“

Vor der Tat in Barcelona soll Moussa seinem Bruder Driss dessen Pass gestohlen und unter dessen Namen den Transporter angemietet haben. Dies bestätigte Driss Oukabir gegenüber der Polizei. Driss war am Donnerstag in Ripoll, rund 100 Kilometer nördlich von Barcelona, festgenommen worden. Ein zweiter Verdächtiger wurde am Freitag ebenfalls in Ripoll in Gewahrsam genommen. Darüber hinaus meldete die Polizei am Freitag eine dritte und vierte Festnahme. Die vier Festgenommenen sollen 21, 27, 34 und 38 Jahre alt sein.

Im Ferienort Cambrils südwestlich von Barcelona war es in der Nacht zum Freitag zu einem weiteren Attentat gekommen. Dort stoppte die Polizei mit Schüssen ein Fahrzeug, das mehrere Menschen überrollt hatte. In dem Wagen saßen fünf Männer. Vier von ihnen wurden durch Polizeischüsse in der Nähe des Fahrzeugs niedergestreckt. Nur einer von ihnen schaffte es zunächst zu flüchten, bis auch er erschossen wurde. Zunächst blieb die Identität der Erschossenen unklar – am Freitagabend zeichnete sich allerdings ab, dass unter den Toten Moussa Oukabir ist. Die Zeitung „El País“ und andere spanische Medien berichteten unter Berufung auf Polizeikreise, Oukabir sei unter den Erschossenen.

Wer sind die Festgenommenen?
Vier Verdächtige befanden sich am Freitag noch in Gewahrsam der Polizei. Dabei handelt es sich um drei Marokkaner und einen Spanier. Laut Polizei war keiner von ihnen in der Vergangenheit durch Verwicklungen in Terrorattacken oder Pläne hierzu auffällig geworden. Die Ermittler gehen aber auch davon aus, dass die jetzt erfolgten Anschläge wochenlang vorbereitet wurden.

Hat die Terrormiliz IS die Anschläge in Auftrag gegeben?
Noch am Donnerstagabend reklamierte der IS den Anschlag von Barcelona für sich. Laut dem IS-Sprachrohr Amak seien die Täter „Soldaten des Islamischen Staates“. Sie hätten auf Aufrufe reagiert, die Staaten der „internationalen Koalition“ gegen den IS anzugreifen. Das muss aber nicht zutreffen. In der Vergangenheit hatte der IS praktisch jede Terrorattacke für sich in Anspruch genommen – oft ohne Täterwissen zu offenbaren.

Ist die Terrorgefahr in Europa generell gestiegen?
Leider ja. Der IS befindet sich in Syrien wie auch im Irak auf dem Rückzug. Die Luftangriffe der internationalen Anti-IS-Koalition sowie die Bodenoffensive syrischer Regierungstruppen und kurdischer Kräfte zeigen Wirkung. Der Fall der IS-Hauptstadt Rakka in Nordsyrien sei nur eine Frage der Zeit, sagen Experten. Immer mehr europäische IS-Kämpfer kehren in ihre Heimatländer zurück. Die Leitungsebene der Islamisten hat ihnen als Mission verordnet, zu Hause Anschläge zu verüben. „Es wird eine unruhige Zeit werden“, warnt Susanne Schröter, Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam.

Wie kämpft Spanien gegen den Terror?
In den vergangenen Jahren hatte es in Spanien keine größeren Anschläge gegeben. Dazu trug womöglich bei, dass Spanien beim Kampf gegen den IS nicht an vorderster Front steht. An den internationalen Luftangriffen gegen Stellungen des IS im Irak nimmt Spanien nicht teil. Und in Syrien ist das Land ebenfalls nicht militärisch aktiv.

Für viele Experten galt Spanien zuletzt nicht als wichtigstes Ziel des islamistischen Terrors. Das war während des Irakkriegs 2003 noch völlig anders. Spanien hatte sich damals an der US-geführten Invasion in das arabische Land mit eigenen Truppen beteiligt. Der damalige Ministerpräsident José Maria Aznar war einer der engsten Verbündeten von US-Präsident George W. Bush.

Eine der ersten Handlungen des im April 2004 gewählten neuen Ministerpräsidenten José Luis Zapatero war, die eigenen Truppen aus dem Irak abzuziehen. Wenige Wochen zuvor, am 11. März 2004, hatten Dschihadisten in Madrid einen verheerenden Anschlag verübt: Bei der Detonation von Bomben in vier Pendlerzügen am Atocha-Bahnhof starben 191 Menschen, mehr als 1500 wurden verletzt – ein Wendepunkt.

Wie stark ist die Islamistenszene im Land?
Die neuen Attacken in Barcelona und Cambrils kommen nicht von ungefähr. Katalonien ist schon länger ein Zentrum des Islamismus. Seit Jahresbeginn und vor der jüngsten Anschlagsserie wurden 14 Terrorverdächtige festgenommen. In keinem anderen Teil Spaniens gab es in den vergangenen Monaten so viele Razzien gegen die radikale islamistische Szene. Dies hat auch damit zu tun, dass die Region eine zahlenmäßig sehr starke Einwanderszene hat.

Größte Einwanderergruppe sind die Marokkaner. Die meisten islamistischen Extremisten, die in der Region in den vergangenen Jahren festgenommen wurden, stammen aus der marokkanischen Immigrantenszene. Oft sind es in Spanien geborene junge Menschen. Fast jedes Dorf in Katalonien hat wenigstens eine Moschee. Einige Moscheen stehen schon länger unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden, weil der Verdacht besteht, dass dort Hassbotschaften verbreitet werden. Nach Erkenntnissen der Behörden radikalisieren sich jedoch die meisten in Katalonien festgenommen Islamisten mit Hilfe des Internets.

„Barcelona ist in den letzten Jahren zu einer großen Sorge für die Sicherheitskräfte geworden“, schreibt die Zeitung „El País“. Terrornetzwerke wie al-Qaida oder der IS hatten ihre Anhänger in der Vergangenheit immer wieder aufgerufen, mit Anschlägen in Spanien das Land für die Muslime „zurückzuerobern“. Dabei verwiesen sie darauf, dass weite Teile der Iberischen Halbinsel im Mittelalter unter maurisch-islamischer Herrschaft gestanden hatten.