Barcelona/Berlin.

Das Thermometer im Herzen von Barcelona zeigt 28 Grad. Am Donnerstagnachmittag zieht es die Menschen auf die Flaniermeile Las Ramblas zwischen der Plaça Catalunya und dem Mittelmeer. Blumenläden und Zeitungskioske säumen die mehr als einen Kilometer lange Fußgängerzone. Bänke unter den Bäumen bieten Schatten in der Sommerhitze. Viele Männer, Frauen und Kinder genießen die Sonne. Mediterranes Lebensgefühl pur.

Plötzlich bricht Panik aus. Menschen schreien, rennen von der Rambla über die Straße auf den Bürgersteig. Ein weißer Lieferwagen hat auf der Flaniermeile Dutzende Menschen überrollt. Die Polizei der Stadt spricht in einer ersten Meldung von einem „massenhaften Überfahren“ von Menschen. Später bestätigt sie, dass es sich um einen Terroranschlag gehandelt habe. Mindestens 13 Tote habe es gegeben, 80 Menschen würden in Krankenhäusern behandelt, davon 15 mit schweren Verletzungen, teilt der katalanische Innenminister Joaquim Forn am späten Abend mit.

Beobachter fühlen sich an Nizza und Berlin erinnert

Auf ersten Bildern des spanischen Fernsehens, die Minuten nach der Tat gegen 17.20 Uhr entstanden, sieht man, dass verletzte Personen auf dem Boden liegen. Auch ein Kind befindet sich darunter. Der Asphalt ist voller Blutlachen, dazwischen Kleidungsstücke und Rucksäcke. Postkarten- und Souvenirständer sind umgestürzt. Der oder die Fahrer des Wagens seien zu Fuß geflüchtet, berichten Fernsehsender. Fotos von Anwohnern im Internet zeigen Leichen am Straßenrand.

Beobachter fühlen sich an die Terror-Albträume von Nizza und Berlin erinnert. Am Französischen Nationalfeiertag am 14. Juli 2016 pflügte ein Lastwagen an der Strandpromenade von Nizza feiernde Menschen nieder – mehr als 80 Tote. Am 19. Dezember 2016 das Lastwagen-Attentat am Berliner Breitscheidplatz – zwölf Tote. Im Frühjahr 2017 gab es zudem tödliche islamistische Attacken mit Fahrzeugen in London und Stockholm.

In Barcelona liegen Minuten nach der Tat Verletzte am Boden, die von Passanten versorgt werden. Ein Mann im grauen T-Shirt schreit wie in Trance: „Das kann nicht sein! Das kann nicht sein!“ Blau-weiße Polizeiwagen rasen heran. Schwer bewaffnete Beamte sperren das ganze Viertel großräumig ab. Albert Zeitler, ein deutscher Augenzeuge, sagt: „Polizisten mit Maschinengewehren und Gewehren im Anschlag kamen in der Straße auf mich zu gerannt. Und alle flüchteten in die Läden.“ Gelbe Krankenwagen bahnen sich ihren Weg zum Tatort. Ein Hubschrauber kreist über der Stadt. Geschäfte, in denen Hunderte von Personen Schutz suchen, haben die Rollläden heruntergelassen. Die Polizei bittet die Menschen per Lautsprecher und über den Rundfunk, nicht ins Stadtzentrum zu gehen.

Der weiße Lieferwagen ist offenbar mit hoher Geschwindigkeit mehrere Hundert Meter über die Rambla gefahren. Auch viele Touristen befanden sich dort. Im vergangenen Jahr kamen etwa elf Millionen Besucher in die katalanische Metropole. Die Ramblas gehören zu dem beliebtesten Treffpunkt in der Stadt. In der Mitte der Allee liegt eine etwa zehn Meter breite Fußgängerzone, links und rechts fließt der Verkehr. Es ist das Herz der Stadt, für die Bewohner wie für Besucher. Dort liegen einige der bekanntesten Sehenswürdigkeiten: die historische Markthalle La Boqueria oder das Theater- und Opernhaus El Liceo. Die Altstadt mit ihren historischen Bauten befindet sich beiderseits der Allee.

Die Täter haben nach Augenzeugenberichten versucht, so viele Menschen wie möglich zu überrollen. „Sie fuhren im Zickzack über die breite Flaniermeile“, sagt ein Passant. Offenbar kam der Lieferwagen von der berühmten Plaça Catalunya am nördlichen Ende der Rambla und hielt erst in der Nähe der Markthalle La Boqueria. Das Fahrzeug sei auf einen Zeitungskiosk gekracht, berichten Fernsehsender. Am späten Abend meldet die katalanische Polizei die Festnahme von zwei Verdächtigen. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hat laut ihrem Sprachrohr „Amak“ die Attacke für sich reklamiert. Nach einem Bericht der spanischen Zeitung „El Periódico“ hat der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA die Polizei von Barcelona bereits vor zwei Monaten davor gewarnt, dass die Ramblas ein wahrscheinliches Terrorziel seien.

In Spanien gilt seit zwei Jahren die zweithöchste Terrorwarnstufe vier. Dies bedeutet, dass ein „erhebliches Risiko eines terroristischen Anschlags“ besteht. Seitdem sind in Spanien 178 terrorverdächtige Islamisten festgenommen worden. Die Polizeipräsenz in touristischen Hochburgen, auf Bahnhöfen und Flughäfen war in den vergangenen Monaten sehr groß. Islamistische Terroristen schlugen in Spanien zum letzten Mal 2004 zu. Damals sprengte ein Kommando in Madrid vier Vorortzüge in die Luft und tötete 191 Menschen.

Barcelona wie ganz Spanien erlebt dieses Jahr einen Rekordandrang von Touristen. Viele Urlauber, die früher nach Tunesien, Ägypten, in die Türkei oder auch nach Frankreich gefahren waren, buchten nach den dortigen Terroranschlägen um. Das Königreich profitierte bisher davon, dass es als vergleichsweise sicher galt. Dieser Ruf könnte durch den gestrigen Anschlag in Barcelona empfindlich gestört werden.